Ein nackter Arsch
Calamari con Piselli sollte es also heute bei Trullis Familie geben. Der schwimmende Tintenspritzer mit Erbsen würde warten müssen.
„Fabio“, sagte der Kommissar ein wenig zu scharf, und er konnte den Verdacht nicht ganz verdrängen, so einer imaginären Evi imponieren zu wollen. „Du kümmerst dich da jetzt gleich drum. Mach die Eltern der Toten ausfindig. Wir fahren heute Morgen noch hin. In ’ner Stunde bin ich im Büro.“
„Chefe?“
„Was is’ noch?“
„Ich kann dich auch nicht leiden!“ Fabio hatte aufgelegt, nicht er. Wie stand es jetzt? Robert Simarek hatte den Überblick verloren.
Simarek spülte mehrmals. Er hatte sich ausgeschissen, und das tat verdammt gut. Fast fühlte er sich wie neugeboren, sah er einmal vom Stechen in seiner linken Seite ab.
„Die Galle“, hatte sein Freund Alex, ein Arzt im Warndt-Krankenhaus, ihm auf den Kopf zu diagnostiziert, und Simarek hatte beschlossen, es zu ignorieren. Also: wie neugeboren! Das Grummeln in seinem Magen, das sein Bedürfnis nach einem ordentlichen Morgenschiss beschleunigt hatte, verdankte sich Evis Anruf. Wieso hatte sie Dienst, und wieso rief sie seinen Assistenten an? War sie jetzt so sauer auf ihn, dass sie beschlossen hatte, ihn zu schneiden? Nein, so war Evi nicht. Vermutlich hatte sie nur den korrekten Weg gewählt, wenn man über Landesgrenzen hinweg Hilfe von Kollegen benötigte.
Blieb noch die Frage, warum Evi im Dienst war. Hatte sie sich das Wochenende nicht extra frei genommen? Für ihn? Aber in Köln war die Personaldecke ähnlich dünn wie in Saarbrücken. So hatte es wohl auch Evi erwischt. Simarek war sich nicht ganz sicher, ob er sich beim nächsten Telefonat ein schadenfrohes „Siehste!“ würde verkneifen können. Besser wäre es wohl, aber nicht immer siegte bei Simarek der Verstand, eine Eigenschaft, die ihn manchmal in Schwierigkeiten brachte, privat wie beruflich.
Der Kühlschrank war leer und die Honigmelone als Wochenendvorrat doch eine recht sparsame Disposition gewesen. Und da sein Magen knurrte, beschloss der Kommissar, auf dem Weg zum Büro noch kurz am Bahnhof zu halten, denn der Bahnhofsbäcker hatte auch sonntags frische Waren. Als kleines Zeichen der Wiedergutmachung hatte Simarek sogar beschlossen, Fabio zwei Croissants mitzubringen, weil dieser nicht pünktlich zum Tintenfischessen bei seinen Eltern sein würde.
Der rothaarige Verkäufer, bei dem drei Kreolen im Ohr dafür sorgten, dass die Kundschaft nicht dauernd auf sein pockennarbiges Gesicht starrte, ließ gerade vier warme Croissants in einer Papiertüte verschwinden, als Simareks Blick auf die Zeitungsauslage des benachbarten Kiosks fiel. Dieser hatte zwar geschlossen, aber hinter den vergitterten Fenstern grinste ihn von einem Titelblatt ein Berner Sennenhund an.
Simarek bezahlte seine Croissants und näherte sich dem Kiosk. Hund und Herrchen hieß die Zeitschrift, die offenbar Methoden zur fach- und artgerechten Erziehung von Vierbeinern vermitteln wollte. Der Berner Senne erinnerte Simarek wieder an seinen seltsamen Traum. Richtig, der Hund hatte eine Zeitung in der Schnauze getragen. Schmidtbauer hatte mit Drucktechnik zu tun. Vielleicht ein Hinweis des Unterbewusstseins. Aber wieso ein Berner Senne? Wieso ein Hund? Und hatte nicht Hassdenteufel auch so eine seltsame Bemerkung gemacht? „Es wird aber keiner ans Telefon gehen. Höchstens der Hund.“ Der Kommissar erinnerte sich an diesen Satz des Pastors. War das nur so dahingesagt?
Simarek verscheuchte den Gedanken, eine Erklärung dafür hatte er ohnehin nicht. Er verließ den Bahnhof, stieg in seinen alten Peugeot 309 und fuhr ins Kommissariat. Das lag seit einem knappen Jahr auf der anderen Saarseite und war ein modernes Gebäude nahe der Ludwigskirche. So ganz wollte sich Robert Simarek immer noch nicht mit den modernen Büros und dem Neubau anfreunden. Die Landesregierung hatte sich zwar nicht lumpen lassen, aber die alten Büros mit den hohen Decken in der Kantstraße, wo das Kommissariat früher war, hatten ungleich mehr Charme und Atmosphäre, fand Simarek. Die richtige Atmosphäre fördert den kreativen Denkprozess, und darauf, das wusste er, war er angewiesen.
„Hab dir was mitgebracht“, knurrte der Kommissar, als er ins Büro eintrat und die Tüte mit den Croissants schwungvoll auf den Tisch warf, worauf diese platzte und die Croissants bereitwillig preisgab.
„Danke“, sagte Trulli nur und biss sofort in eins hinein. „Hav’ übrigenf bie Adrefe der Eltern“,
Weitere Kostenlose Bücher