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Ein nackter Arsch

Ein nackter Arsch

Titel: Ein nackter Arsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bauer
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dachte Simarek kurz und war dankbar, dass Erna Mollet mit ihrer Frage bereits den Eröffnungszug gemacht hatte.
    „Dürfen wir reinkommen? Wir haben schlechte Nachrichten.“
    Ohne einen Anflug von Nervosität wies Erna Mollet den Polizisten den Weg ins Wohnzimmer, in dem ein rundlicher, freundlich wirkender Mann auf dem Sofa saß und in einem Briefmarkenalbum blätterte.
    „Gabriel, die Herren sind von der Polizei. Sie sagen, sie bringen schlechte Nachrichten.“
    „Ist was mit Gesine?“, fragte auch Gabriel Mollet sofort.
    „Ihre Tochter ist tot.“ Simarek wählte den direkten Weg. Seiner Erfahrung nach war drum herumzureden selten hilfreich. Und ebenso wenig konnte er das Aussprechen dieser Nachricht seinem Assistenten überlassen.
    „Sie hat sich in Köln mit Schlaftabletten das Leben genommen.“
    Beiden Eltern stand das Wasser in den Augen. „Tränen, gut“, dachte Simarek, der registrierte, dass Gabriel und Erna Mollet dennoch erstaunlich gefasst waren.
    „Unsere Kollegen haben einen Abschiedsbrief gefunden. Eine Kopie davon haben wir Ihnen mitgebracht. Das Original liegt noch in Köln.“ Fabio Trulli überreichte Gabriel Mollet den Brief, während Erna sich räusperte:
    „Ich nehme an, Sie haben bemerkt, dass wir nicht wirklich überrascht sind. Unendlich traurig schon. Aber nicht überrascht. Gesine hat bereits vor zwei Jahren versucht, sich das Leben zu nehmen. Damals hat Gabriel sie rechtzeitig gefunden.“
    „Mmmmh, und dann?“
    „Danach“, ergänzte Gabriel Mollet, „ist sie dann in Psychotherapie gegangen. In Saarbrücken. Ich hatte auch kurz den Eindruck, es wird alles besser. Aber das hielt nicht lange. Sie hatte auch ständig irgendwelche Tabletten in der Tasche, schluckte Stimmungsaufheller und anderes. Wir konnten ihr einfach nicht helfen.“
    „Wissen Sie“, sagte Erna, „Gesine war schon als Kind sehr melancholisch. Sehr nah am Wasser gebaut. Sie konnte stundenlang weinen über das Elend der Welt. Als Konfirmandin kam sie einmal von einer Dritte-Welt-Freizeit nach Hause und wollte auf der Stelle Entwicklungshelferin werden. Sie ließ sich von so vielen Dingen berühren. Selten habe ich sie dabei richtig fröhlich erlebt. Das war für mich das Schwerste.“
    Simarek musste auf Gesines kurzen Abschiedsbrief zu sprechen kommen. Er hatte ihn bereits im Auto gelesen. Doch jetzt, da er Gesines Eltern gegenübersaß, fühlte er wieder diese deutliche Grenzverletzung, die er im Rahmen seiner Arbeit immer wieder begehen musste. Er drang in Privates ein, weil er wusste, dass anders ein Fall selten zu lösen war.
    „Gesine schreibt an einer Stelle: ‚Ihr wisst, dass ich seit meiner unglücklichen Liebe nicht mehr richtig auf die Füße gekommen bin. Er hat mich nie in Ruhe gelassen, obwohl ich versucht habe, ihn aus meinem Leben zu streichen. Ich mag nicht mehr. Das alles ist sinnlos. Jetzt streiche ich eben mich aus meinem Leben. Mag er mich auch noch auf dem Gewissen haben.‘ Der Brief endet mit: ‚Seid mir nicht böse. Ich liebe Euch. Gesine.‘ “
    Beide Eltern hatten wieder Tränen in den Augen.
    „Ich muss Sie das fragen“, sagte Simarek. „Wer war diese unglückliche Liebe?“
    „Das wissen wir nicht“, antworteten Erna und Gabriel Mollet fast gleichzeitig. „Gesine wollte mit uns nie darüber sprechen“, fuhr Erna Mollet fort. „Wir waren verzweifelt, hätten ihr so gerne geholfen. Aber irgendwie meinte sie, sie müsse mit ihrer Geschichte alleine fertigwerden. Wissen Sie, Gesine war jetzt Ende zwanzig. Das ist so die Zeit, wo sich, wenn überhaupt, Eltern und Kinder wieder annähern. Davor herrscht meistens Funkstille, jedenfalls nimmt man nicht sehr am Leben des Anderen teil.“
    „Meine Frau hat sehr viel Literatur gelesen zum Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Phase, wenn Kinder erwachsen werden. Sie wollte verstehen, was da passiert. Geholfen hat das aber nicht wirklich.“
    „Mir schon“, protestierte Erna Mollet sanft. „Ich mache mir viel weniger Vorwürfe als früher.“
    „Und Sie haben wirklich keinen Anhaltspunkt, wer die unglückliche Liebe Ihrer Tochter war?“
    „Keine Ahnung, aber es muss irgendjemand aus ihrem damaligen Arbeitsumfeld gewesen sein. Sonst hätte sie nicht Hals über Kopf ihren Job gekündigt. Denn ASP hat wirklich gut bezahlt.“
    „ASP?“ Simarek und Trulli schauten sich überrascht an. „ ASP Internationale in Forbach?“
    „Genau die“, antwortete Gabriel Mollet. „Gesine hat Übersetzen studiert und dann

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