Ein nackter Arsch
„Sonst hat deine Familie alles aufgegessen, bevor wir da sind.“ Er wusste, dass das so unwahrscheinlich war wie kein Amen in der Kirche.
Der Kommissar war satt, und die Reste der Calamari con Piselli, die jetzt nicht in Simareks Magen, sondern noch in der Schüssel schwammen, hätten immer noch zur Verköstigung einer Handballmannschaft gereicht.
Beim Essen war viel gelacht worden. Papa Trulli hatte ein paar anzügliche Witze gemacht, die Mutter dazu wie üblich unter „Madonna“-Rufen die Augen verdreht. Trulli senior hatte die Runde darüber aufgeklärt, dass man in Italien „Piselli“ umgangssprachlich auch für „Pimmel“ benutzte. Außer Simarek wusste das natürlich jeder. Aber ein bisschen kultureller Austausch, so meinte Fabios Vater wohl, konnte ja nicht schaden. „Entweder sie übertreiben oder sie untertreiben“, dachte der Kommissar, dem sich der Zusammenhang zwischen einer Erbse und einem auch noch so kleinen Gemächt nicht ganz erschloss. Andere Völker, andere Bilder…
Der Fisch jedenfalls war sensationell gewesen, und der Kommissar hatte die Runde nach zwei Espressi und wortreichen Aufforderungen, möglichst bald wiederzukommen, am späten Nachmittag dann schließlich doch verlassen.
Der Sonntag war für weitere Ermittlungen ohnehin verloren, sie hatten alle Informationen gesammelt, die heute zu haben waren. Die Verbindung zwischen Schmidtbauer und Gesine Mollet war vor Montag nicht zu klären, und auch alle anderen Fragen würden warten müssen. Nur nach der Bemerkung mit dem Hund wollte Simarek seinen Freund Hassdenteufel noch fragen. Sie hatte sich ins Gehirn des Kommissars eingebrannt, denn er wusste, dass solche Bemerkungen meistens unbewusst motiviert waren. Wenn also Hassdenteufel von einem Hund gesprochen hatte, der als Einziger noch ans Telefon der Schmidtbauers gehen könnte, dann musste das einen Grund haben. Vielleicht bestand sogar ein Zusammenhang mit seinem Traum, in dem ja ebenfalls ein schwanzwedelnder Berner Senne vorgekommen war. Schmidtbauer und Hunde… da war doch was. Er kam nicht drauf.
Simarek fuhr direkt von Burbach in sein Viertel, fand sofort einen Parkplatz, was sonst äußerst selten gelang, und beschloss, ein halbes Stündchen auszuruhen. Gegen acht würde Gerd Hassdenteufel sein frommes Handwerk für heute verrichtet haben. Dann wollte Simarek noch einen kleinen Spaziergang machen und an der Kirche vorbeischauen.
Was Evi wohl gerade machte? Er war versucht, sie anzurufen. Aber sie hatte gesagt, sie wolle in Ruhe nachdenken. Er spürte, dass ihm etwas fehlte. Ein- bis zweimal am Tag telefonierten sie sonst, tauschten dabei auch Belanglosigkeiten aus und versicherten sich so gegenseitig, dass sie zusammengehörten. Er brauchte dieses Ritual täglichen Telefonierens. Meistens griff er instinktiv zum Hörer und bemerkte erst, was er getan hatte, wenn sich Evi am anderen Ende der Leitung meldete. Er seufzte. Er wusste, dass oft erst der Verlust einen deutlich erkennen lässt, was man besessen hatte. So weit wollte er es nicht kommen lassen. Verdammt noch mal, wieso zickte Evi plötzlich so rum? Es war doch alles so schön eingespielt… Er ahnte, dass genau dies ein Teil von Evis Problem war. Dachten Männer und Frauen in Beziehungsfragen tatsächlich unterschiedlich? Er hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht und hielt die öffentliche Diskussion zu diesem Thema für einen Zeitvertreib gewisser pseudointellektueller Zirkel. Für Simarek war klar: Wenn beide sich bemühen, dann ist das die ideale Situation, in der eine Beziehung gelingt. Sollte er Evi jetzt anrufen und ihr genau das sagen? Besser nicht… im Moment jedenfalls nicht. Vielleicht sollte er sich erst mehr bemühen.
Seine Gedanken ordneten sich. Er hatte begriffen, dass seine Beziehung zu Evi kein Selbstläufer war. Er wusste aber auch, dass er Evi nicht aufgeben wollte. „Du bequemer alter Sack“, dachte Simarek noch. Ab morgen wollte er alles besser machen. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Vorsatz fasste.
Die Turmuhr von St. Johannes schlug achtmal und Simarek schreckte aus seinen Gedanken auf. Er warf sich seine Cordjacke über und verließ die Wohnung in melancholischer Stimmung.
„Komm rein!“ Gerd Hassdenteufel hatte ein Glas Rotwein in der Hand, als er die Türe öffnete.
„Willst du auch?“
„Was gibt’s denn Feines?“
Melancholie und Rotwein. Simarek ahnte, wo das hinführen konnte, wenn er sich nicht beherrschte. Morgen war Montag, eine Pressekonferenz stand
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