Ein nackter Arsch
Oberkommissar. Da gibt es viele Möglichkeiten. Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass unser Toter aus Versehen an der falschen Flasche geschnüffelt hat. Wie bringt man jemanden dazu, Cyanidgas einzuatmen? Tja. Erstmal hat unser Täter das Problem, dass sich das Gas in entsprechender Form und Menge in der Luft befinden muss. Und dann sollte er wohl selbst nicht danebengestanden haben. Es sei denn, er hätte eine Gasmaske benutzt. Dann wäre das Opfer aber bestimmt stutzig geworden und es hätte Kampfspuren oder Ähnliches gegeben. Aber die Leiche hier war fast in klinisch reinem Zustand, mal davon abgesehen, dass sie tot war. Die Umstände müssen Sie wohl klären, Herr Simarek.“
„In welcher Form lässt sich Cyanidgas denn transportieren oder aufbewahren?“
„Na ja, am besten als HCN, also Blausäure. In flüssiger Form! Das ist an sich nicht gefährlich.“
„Und wenn er’s getrunken hat?“
„Wollen Sie mich veräppeln?“ Fischmayr knurrte.
„Natürlich nicht, tut mir leid.“
„Ach, eins noch: Blausäure siedet schon bei sechsundzwanzig Grad und setzt dann tödliches Gas frei. In der Luft verflüchtigt sich das ziemlich schnell. Der Mörder brauchte also nur ein paar Minuten abzuwarten, sozusagen bis die Luft rein war. Dann konnte er die Leiche mitnehmen und da ablegen, wo der Obdachlose sie gefunden hat. Allerdings, warum er das tat, ist mir ein Rätsel.“
„Das zu lösen, ist ja nicht Ihr Problem.“
Simarek grinste, hob lässig die Hand zum Abschied und ließ einen irritierten Rechtsmediziner zurück. Humor gehörte zweifelsfrei nicht zu Fischmayrs Stärken.
Der Kommissar schaute noch kurz bei der Gelben Kastanie vorbei, um sein Auto abzuholen, trank bei Biggi ein schnelles Bier und hörte sich den neuesten Ärger an, den Biggis Sohn Ansgar angestellt hatte. Ansgar war das Produkt einer Affäre, die Biggi mit einem durchreisenden Dänen hatte. In Saarbrücken hatte Torgar – tragen eigentlich alle Dänen Wikingernamen? – seine Montagereise für ein Jahr unterbrochen und sich mit Messebau über Wasser gehalten. Denn er hatte sich Hals über Kopf in die schöne Biggi verliebt, die gerade mal vierundzwanzig war und so knackig aussah, dass ein großer Teil ihres Thekenpublikums nur ihretwegen in die Gelbe Kastanie kam. Auch Torgar war gleich hin und weg gewesen, doch als sich dann ziemlich zügig Ansgar ankündigte und sich nach dessen Geburt die leidenschaftliche Affäre in familiären Alltag zu verwandeln drohte, packte Torgar wieder die Reiselust und er ward nicht mehr gesehen. Doch Biggi erwies sich als ausgesprochen tough, übernahm, nachdem sich der Wirt zur Ruhe gesetzt hatte, die Gelbe Kastanie allein und meisterte den Spagat zwischen Kneipe und Kleinkind souverän, allerdings oft argwöhnisch beäugt vom städtischen Jugendamt. Simarek hatte mehr als einmal seine Kontakte spielen lassen und so verhindert, dass das Jugendamt Biggi wirklich Ärger machte.
„Und wo hat Ansgar die Knallkörper her?“, fragte Simarek, der sich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit das Grinsen nicht verkneifen konnte. Der Auspuff des Ehepaares Biedermann, Biggis Nachbarn, war Ziel eines Ansgarschen Anschlags geworden und darauf an seinem Ende etwas zerfasert. Vermutlich war er schon zuvor porös gewesen.
„Von Silvester übrig, da hat er die gesammelt und die Reste in einem Karton verwahrt.“
„Du weißt, dass Knallkörper nichts für Kinder sind? Da steht auf der Packung: ‚ab 18 Jahren‘.“
„Ja, Herr Kommissar! Aber du weißt genau, dass du die Dinger in Frankreich auch als Kind kaufen kannst, und alle in Ansgars Klasse haben Knaller gekauft oder geschenkt bekommen und dann aufgehoben.“
„Klar, und warum musste nun der Auspuff von den Biedermanns dran glauben?“
„Na ja, letzte Woche haben sie Ansgar im Treppenhaus mal wieder so richtig angemacht. Er sei zu laut, mache die frisch geputzten Stufen wieder schmutzig, und, und, und…“
„Und dann hat Ansgar eben auf seine Weise geantwortet“, dachte Simarek laut nach. „Den Auspuff wirst du wohl bezahlen müssen.“
„Klar, aber falls die Biedermanns wieder das Jugendamt…“
„…einschalten? Ich glaube nicht, dass es Probleme gibt. Für Zwölfjährige in deiner Wohngegend ist das ein eher harmloser Scherz.“ Und sollte das Jugendamt hier wirklich wieder mitreden wollen, würde er ein kurzes Telefonat führen müssen. Seit zwanzig Jahren in Saarbrücken, verfügte Simarek mittlerweile über ein zuverlässiges Netzwerk
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