Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
und früh ins Bett zu gehen. Doch daraus wurde nichts. Ein untrügerisches Gefühl sagte mir, ich müsse in das Restaurant am Hafen gehen. Obwohl ich müde war, folgte ich der inneren Stimme. Als ich die Tür zum Restaurant öffnete, strahlten mich zwei bekannte und ein unbekanntes Augenpaar von einem Ecktisch aus an. Michael sprang sogleich auf und erdrückte mich fast. Nachdem ich Nicola in meine Arme genommen hatte, begrüßte ich den gutaussehenden jungen Mann, der mit ihnen am Tisch saß. Wir strahlten uns an, als wenn sich Geschwister nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wiedersähen.
»Den ganzen Tag haben wir nach dir gesucht«, meinte Michael. »Und nun kommst du hier einfach hereinspaziert.«
»Was glaubt ihr, was ich den ganzen Tag gemacht habe. Ich habe euch ebenfalls gesucht und wollte schon in mein Hotel gehen, weil ich müde war. Doch irgendetwas hat mich bewogen, hier ins Restaurant zu gehen.«
»Das Essen war vorzüglich«, strahlte Nicola, erhob ihr Glas Wein und prostete uns zu.
»Ich freue mich, dass ich Euch gefunden habe, weil wir uns nicht richtig verabschiedet hatten. Bernd und Yajaira würde ich auch gerne wiedersehen. Ich fand es immer wieder faszinierend, wie Bernd seinem Freund Hansi, der eine Woche nach ihnen auf den Weg gestartet war, auf großen Steinen Nachrichten einritzte. Hallo Hansi oder Buen camino, Hansi.«
Während ich euphorisch erzählte, lächelte mich der mir gegenübersitzende junge Mann auf eine Weise an, die ich nicht recht zu deuten vermochte. Dann sagte er mit einer sanften Stimme: »Ich bin Hansi!«
Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre vom Stuhl gefallen.
»Das gibt es nicht!«, prustete ich. »Du bist Hansi? Ich freue mich riesig, dass wir uns begegnet sind. Bernd und Yajaira haben mir so viel von dir erzählt.«
Vom ersten Augenblick an mochte ich Hansi, mit seinen auffallend grünblauen, leuchtenden Augen. »So ähnlich müssen die Augen von Jesus Christus ausgesehen haben«, war mein erster Gedanke. Ich war mittlerweile offen mit dem, was ich dachte und fühlte, und sagte zu Hansi: »Ich mag dich sehr gerne.«
Hansi erwiderte meine Sympathie und meinte: »Das, was du über deine Pilgerschaft, Gott, den Glauben und die Menschen gesagt hast, ist mir sehr vertraut. Es kam mir so vor, als wenn du meine Worte gesprochen hättest.«
Michael und Nicola redeten nicht viel. Wir bestellten noch eine Flasche Wein. Hansi schaute mich an: »Ich weiß, warum ich den Jakobsweg gehen musste. Um viel Wundervolles zu erleben. Doch ich musste ihn auch gehen, um meinen Bruder zu finden.« Mir wurde warm ums Herz bei seinen Worten. Auch ich empfand eine Verbundenheit zu ihm, die außergewöhnlich war. Nach Hansis Worten schwiegen wir eine Weile.
Hansi hatte per Handy Kontakt zu Bernd und Yajaira und wusste, dass sie nach Finisterre kommen wollten. Nur wann, wusste er nicht. Die Kellner begannen die Stühle hochzustellen, wir zahlten und gingen. Michael und Nicola zu ihrem Hotel, Hansi und ich in die nächste Bar. Dort tranken wir ein Glas Wein, rauchten Zigarre und verließen das Lokal schnell wieder, weil eine Unterhaltung wegen der viel zu lauten Live-Musik nur schreiend möglich war. Und schreiende Unterhaltungen liebten wir beide nicht.
Im Hafen lief uns ein Pilger, den Hansi kannte, in die Arme. Zufälligerweise hatte er eine Flasche Wein und Nüsse in seiner Tasche. Wir stiegen auf die Hafenmauer. Es war zwar frisch, doch die Aussicht auf das Meer und den fulminanten Sternenhimmel, ließ uns lange ausharren. Ich hatte das Glück eine Sternschnuppe zu sehen. »Wünsch dir was!«, sagte Hansi.
»Ich habe vor Monaten mit dem Wünschen aufgehört, weil ich festgestellt habe, dass mir ihre Erfüllung nicht immer das Erwartete eingebracht hat. Stattdessen habe ich mir vorgenommen, meinen Glauben zu stärken und in Geduld und Vertrauen meinen Lebensweg fortzusetzen.«
Wir schwiegen, tranken Wein und staunten über Gottes faszinierende Geschenke, die er uns in Form eines leuchtenden Firmaments, den Lichtern der gegenüberliegenden Costa Celta, des tiefschwarzen Atlantiks in einer berauschenden Nacht darbot. Trotz des Weins kroch die Kälte in meine Glieder. Der Wind hatte an Stärke zugelegt. Ich wollte die verbleibenden Stunden der Nacht in meinem Bett und nicht auf der Hafenmauer verbringen. Für den nächsten Morgen verabredeten wir uns auf einen Kaffee im Hotel-Restaurant Mariquito. Es war halb vier, als ich in meinem Bett lag.
Ich bin den Weg auch gegangen, um
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