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Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manolo Link
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Tag. Die Sterne am Firmament waren noch zu sehen. Der Weg führte mich in einen Wald. Die gelben Pfeile waren zum Teil von Gräsern überwachsen. Irgendwann waren mir die Wegweiser abhanden gekommen. Auf der Suche nach den Pfeilen traf ich auf eine Pilgerin aus Wien und ein Paar aus England, die mich nach dem Weg fragten. Ich stoppte eine Autofahrerin, die uns auf einer Nebenstraße entgegenkam. Sie erklärte, wie wir wieder auf den Jakobsweg gelangen konnten. Mit der Wienerin setzte ich meinen Weg fort. Die Engländer waren im Wald verschwunden.
    Die Eindrücke der letzten Wochen arbeiteten in mir. Ich fühlte eine unbändige Kraft, die mich Kilometer um Kilometer vorantrieb. Das Gehen machte mir Freude. Bewusst erhöhte ich meine Geschwindigkeit und verließ die Wienerin.
    Um drei erreichte ich die Herberge in Olveira, wo eine Pilgerin und sieben Rucksäcke an der Wand lehnten. Die Pilgerin eröffnete mir, dass die Herberge gegen vier ihre Tore öffnen und die Besitzer der Rucksäcke sich in einer nahgelegenen Bar befinden würden. Ich stellte meinen Rucksack zu den anderen und machte mich auf den Weg zur Bar. Mir war nach einem Glas Rotwein und einem Bocadillo. Als ich die Tür zur Bar öffnete, grinsten mich Michael und Nicola von der Theke aus an. Michael erzählte mir von seinem Vorhaben, mit Nicola bis zur nächsten Herberge gehen zu wollen. Ich nahm meinen Reiseführer und machte ihn darauf aufmerksam, dass sich die nächste Herberge in Cée befände, wir bereits 34 Kilometer hinter uns und dann immerhin noch 21 vor uns hätten. Ich dachte darüber nach, fand die Absicht reizvoll, aß mein Bocadillo, zahlte und sagte den beiden, dass ich auf dem Weg irgendwo auf sie warten würde.
    Daraufhin ging ich zurück zur Herberge, schulterte meinen Rucksack und überlegte, wann unsere Ankunft in Cée wohl erfolgen würde. Die ersten Kilometer verliefen bergauf über eine begrünte Hügelkette. Auf einer Mauer machte ich Rast. Während ich Wasser trank und meine letzten Kekse verzehrte, gesellte sich ein stämmiges braunes Pferd zu mir und leckte an meinen Schuhen. Oh, dachte ich, das ist ja ein toller Service hier in Galicien, wo den Pilgern sogar die Schuhe geputzt werden. Als das Pferd Anstalten machte, auch noch meine Socken in den Reinigungsprozess mit einzubeziehen, ging mir das doch zu weit, weil ich nasse Socken nicht mochte. Das Pferd schaute mich enttäuscht und verwundert an, als ich meine Schuhe zurückzog, so, als wenn es sagen wollte: »Bin ich dir für deine Sockenreinigung etwa nicht gut genug?« Ich sagte ihm, dass ich Pilger sei und für meine Reinigung selbst Verantwortung tragen müsse. Es nickte mit dem Kopf. Ich war mir sicher, dass es alles verstanden hatte. Es war ein schönes Pferd, das, nach seinem Bauchvolumen zu urteilen, ein Fohlen in sich trug. Zwei weitere Pferde auf der Weide interessierten sich nicht so recht für die Reinigung von Pilgerschuhen. Ich bedankte mich bei dem Pferd und wanderte mit sauberen Schuhen weiter.
    Bald waren Nicola und Michael an meiner Seite. Erstaunlich, wie schnell Pilger gehen können, wenn sie »eingelaufen« sind. Michael zeigte mir einen Plan, den er in Santiago im Pilgerbüro erhalten hatte. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass sich Cée am Atlantik befand.
    »Dann erreichen wir ja heute schon das Meer«, rief ich voller Freude.
    »Ja, klar«, lachte Michael.
    »Super! Damit hatte ich nicht gerechnet.«
    Die Schritte wurden schwerer. Michael teilte sein Obst auf, das uns neue Kräfte verlieh. Wir gingen hintereinander. Jeder übernahm mal die Führung und zog die anderen mit. Plötzlich stoppte Michael: »He!«, schrie er, »ist das nicht der Atlantik?« und wies mit seiner Hand gen Westen.
    »Ja!«, riefen Nicola und ich gleichzeitig.
    »Wir haben es geschafft«, jubelte ich.
    »Wir sind fast 900 Kilometer zum Meer gegangen. Toll! Einfach toll!«
    Wir umarmten uns. Nun war es nicht mehr weit bis Cée. Die Euphorie mobilisierte unsere letzten Reserven, für den Rest der »Königsetappe«, wie Michael sie nannte, weil es die längste auf unserer Pilgerschaft war. Der Abstieg nach Cée war grauenvoll. Die letzten zwei Kilometer auf steinigem Weg verliefen steil bergab. Es reichte, wir hatten genug, unsere Glieder schmerzten. Um neun erreichten wir nach über vierzehn Stunden Wandern den Ortsanfang von Cée. Das Empfangskomitee bestand aus fünf friedlichen Hunden. Was wir nun benötigten, waren ein Essen und Betten. Ich machte den Vorschlag, ein

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