Ein neues Paradies
ihrer Zeit. Aber nicht mehr roh wird die Beute verschlungen. Langsam, aber sicher hat die Menschheit in zehntausend Generationen eine Wandlung und Entwicklung nach oben durchgemacht. Ihre Sprache umfaßt schon etwa fünfhundert Worte. Ihre Stirn ist höher geworden, größer das Auge und zierlicher der Unterkiefer.
Und das Feuer beherrschen sie. Sie wissen, daß man zwei Stücke Holz, ein hartes und ein weiches, reiben muß und daß dann ein Glimmen beginnt, das mit dürren Blättern und trockenen Waldschwämmen bald Glut wird und sich an feinem Reisig zur knisternden Flamme entwickelt. Sie haben das Feuer und braten ihr Fleisch. Sie wissen auch weiter, daß das Feuer Felsen zermürbt, daß man Steine, die im Feuer lagen, leicht zerschlagen und allerlei schneidende Stücke daraus bekommen kann. Sie wissen auch schon, daß manche Erde im Feuer wieder Stein wird. Sie wissen, daß die lodernden Flammen in dunkler Nacht alles Getier verscheuchen. Im Besitz des Feuers fühlen sie sich als die Herren ihrer Umgebung. Alte Sagen und Geschichten erzählen von früheren trüben Zeiten, da man das Feuer noch nicht hatte und das Fleisch roh essen mußte. Von einem alten Zauberer meldet die Sage, der Holzstämme in einer Felshöhlung häufte und sie lange Zeit liegen ließ, der dann in einen brennenden Wald lief, die rote Blume holte und in jenen Holzstapel pflanzte. Man erzählt, daß der Zauberer, von der Blume gestochen, sein Leben verlor, daß aber das Feuer in jener Höhle für immer gehegt und gepflegt wurde.
Am Lagerfeuer erinnert man sich auch an einen weisen Führer. Der sah, wie bei einem Bergrutsch Stämme über Stämme zu Tal glitten und wie zwischen ihnen Rauch und Feuer hervorschoß. Und man erzählt, wie er das im kleinen nachzumachen versuchte, wie er unermüdlich Hölzer auf Hölzern rieb und wie eines Tages die rote Blume unter seiner Hand emporwuchs. Solche Geschichten wurden lebendig, wenn der Stamm am Lagerfeuer sitzt und das Fleisch in den Flammen röstet.
3
Aus Tertiär und Diluvium kam die Menschheit in die geschichtliche Zeit. Von Pyramiden und indischen Tempeln schritt sie zu griechischen Säulenbauten und zu gotischen Domen. Durch das Mittelalter kam sie in die neue Zeit, und das Jahrhundert der angewandten Naturwissenschaften, der Technik, leuchtete auf. Die Dampfmaschine nahm der Menschheit die grobe Arbeit ab. Wir stehen in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Überall ist der Samen, den die Watt und Stephenson streuten, aufgegangen und trägt reiche Frucht. Das Feuer, in unvordenklichen Urzeiten vom Menschen gefaßt und gefangen, lodert heute unter Millionen von Dampfkesseln. Wohl wird die Flamme auch jetzt noch benutzt, um Fleisch zu braten. Wohl erweicht man auch jetzt Steine und Erze im Feuer. Aber ungleich wichtiger ist die Rolle, die das Feuer als Energieträger spielt. Längst schon genügt das Holz dem Bedarf nicht mehr. In einem Jahr würden alle Wälder der Erde unter den Dampfkesseln verschwunden sein, wenn man nichts anderes und nichts Besseres gefunden hätte.
Aber ungezählte Jahrtausende hindurch hat ja die vorsintflutliche Sonne Holz wachsen lassen, das dann in der Tiefe begraben wurde. Hart und schwarz ist es dort unten geworden. Steinkohle. Aber unversehrt steckt die Arbeit längst verglommener Sonnenstrahlen in dieser Kohle, und unermüdlich fördern Bergleute das kostbare Gut zutage.
Das Land, das die meisten Kohlen birgt, besitzt auch die wirtschaftliche Macht. England ist hier aller Welt voran, aber auch Amerika und Deutschland sind eifrig dabei, ihre Bodenschätze zu heben, immer neue Nahrung für das unersättliche Feuer heranzuschaffen.
Man hat den Wert der Kohle wissenschaftlich ergründet und berechnet. Mit unendlicher Sorgfalt hat man Proben feinpulverisierter Kohle in besonderen eisernen Bomben unter Zuleitung von reinem Sauerstoff verbrannt. Diese Bomben befanden sich in einem Gemenge von kleingeschlagenem Eis und durch genaue Messung des Schmelzwassers, das während der Verbrennung entstand, fand man, daß ein Kilogramm bester Steinkohle rund achttausend Kalorien oder Wärmeeinheiten enthält und bei vollkommener Verbrennung entwickelt. Eine Kalorie bedeutet dabei diejenige Wärmemenge, die genügt und imstande ist, ein Kilogramm Wasser um einen Grad Celsius zu erwärmen. Eine Kalorie ist einer mechanischen Arbeit von vierhundertvierundzwanzig Meterkilogramm gleichwertig. Würden wir zum Beispiel ein Stück Blei im Gewicht von einem Kilogramm
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