Ein neues Paradies
Pechblende, zu lösen und die Lösungen kristallisieren zu lassen. Sie erhielten in der Tat neben den reinen, nichtstrahlenden Baryumbromidkristallen einen neuen Stoff, in dem nun das gesamte Strahlungsvermögen steckte.
Vom lateinischen radius – der Strahl – nannten sie den neuen Stoff Radium, das heißt strahlende Materie.
Aus einer Tonne der Uranpechblende, aus tausend Kilogramm also, oder aus einer Million Gramm, oder aus einer Milliarde Milligramm gewannen sie dreihundertdreiunddreißig Milligramm Radium. Die Strahlung, die vordem in einer Eisenbahnwagenladung Erz zerstreut steckte, war jetzt in einer kleinen Messerspitze des neuen wunderbaren Stoffes vereinigt, und nun gingen die Arbeiten schnell weiter. Bereits im Jahre 1904 konnten die Curies eine ausführliche Arbeit über die radioaktiven Substanzen veröffentlichen. Sie konnten zeigen, daß jener Stoff fortwährend gewaltige Mengen elektrischer und anderer Strahlen aussendet, daß das Radium stets um einige Grade wärmer ist als seine Umgebung, kurz und gut, daß es Energie aussendet, ohne dabei irgendwelche nachweislichen Verluste zu erleiden.
Das war die Revolution in der Naturwissenschaft. Bisher hatte dort ohne Einschränkung das Gesetz von der Erhaltung der Energie geherrscht, jenes Gesetz, welches nichts anderes als das angewandte Einmaleins bedeutet. »Aus nichts wird nichts« hatte der Grundsatz aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis gelautet. Hier wurde aus nichts auf einmal sehr viel. Diese Messerspitze voll Radium strahlte Energiemengen aus, die im Laufe der Jahrtausende die Verbrennung der Vorräte ganzer Kohlenbergwerke ersetzen mußte. Man stand vor einem Rätsel. Entweder war in diesem unscheinbaren weißen Pulver eine unermeßlich große Energiemenge aufgespeichert, entweder war das Radium eine Kraftquelle, gegen welche die Steinkohle lächerlich winzig erschien, oder aber das Gesetz von der Erhaltung der Energie bestand nicht mehr zu Recht. Ein Aufruhr ging durch die naturwissenschaftliche Welt. Die neue Tatsache paßte so ganz und gar nicht in das bisherige System. Die neuen Methoden der Radiumforscher waren ungewohnt und wunderbar. Sie arbeiteten mit Gewichtsmengen, die nach Bruchteilen eines Milligrammes rechneten. Nach ganz neuen Methoden wiesen sie das Dasein des strahlenden Stoffes und der Strahlung nach und arbeiteten dabei mit Millionsteln eines Milligramms. Sie studierten die Erscheinungen, aber noch im Jahre 1904 fehlte jede Erklärung für diese wunderbaren Erscheinungen. Man stellte Hypothesen auf, und die Curies schlossen ihre erste Arbeit wie folgt:
»Man kann annehmen, daß die radioaktive Energie, das heißt die Energie der Fähigkeit, Strahlen auszusenden, früher einmal angehäuft worden ist und sich allmählich erschöpft wie eine Phosphoreszenz von langer Dauer. Man kann sich vorstellen, daß die Entwicklung radioaktiver Energie mit einer Umwandlung des strahlenden Atoms selbst, das sich in einem Entwicklungszustand befindet, verbunden ist; die Tatsache, daß das Radium fortwährend Wärme entwickelt, spricht zugunsten dieser Anschauung. Man kann annehmen, daß die Umwandlung von einem Gewichtsverlust begleitet ist und von einer Aussendung materieller Teilchen, aus denen die Strahlung besteht. Die Energiequelle kann ferner in der Gravitationsenergie gesucht werden. Endlich kann man sich vorstellen, daß der Raum fortwährend von einer noch unbekannten Strahlung durchsetzt werde, die bei ihrem Durchgang durch radioaktive Körper aufgehalten und in die radioaktive Energie umgewandelt wird.
Bedenken wir endlich noch, daß die neuen radioaktiven Stoffe sich immer in den Uranmineralien vorfinden und daß wir vergeblich in dem käuflichen Baryum nach Radium gesucht haben, daß also das Vorkommen des Radiums an das des Urans gebunden zu sein scheint. Die Uranmineralien enthalten ferner Argon und Helium, und dieses Zusammentreffen ist wohl kaum einem Zufall zuzuschreiben. Das gleichzeitige Vorkommen dieser verschiedenen Körper in denselben Mineralien führt zu der Annahme, daß die Gegenwart der einen für die Bildung der anderen notwendig ist.«
Vor vielen hunderttausend Jahren hatten die Tertiärmenschen zum ersten Male das Feuer gesehen, und Jahrtausende waren verflossen, bevor es ihnen auch nur gelang, der wunderbaren Erscheinung näher zu kommen, die wohltätige Naturkraft dann endlich in ihre Dienste zu zwingen. Jetzt erlebte die Menschheit solch Wunder von neuem. Sie sah den unendlichen Energiestrom, die
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