Ein neues Paradies
Wurzelende einer Schenkel starken Steineiche, saust auf den Bärenkopf, daß man das Krachen und Knirschen der brechenden Schädelknochen deutlich vernimmt.
Besinnungslos stürzt der Bär nieder, und von allen Seiten prasseln jetzt die Steine auf seinen Körper. In wenigen Minuten ist er eine leblose Masse. Die Jäger ziehen sich zurück. Nur der Älteste unter ihnen tritt vor das Tier hin, und nach zahlreichen Verbeugungen, die er vor dem toten Gegner ausführt, holt er ein sorgsam behütetes Werkzeug, einen scharfen Steinsplitter, aus seinem Fell hervor und beginnt damit den Bären kunstgerecht abzuhäuten und zu zerlegen. Jetzt treten auch die anderen wieder hinzu und lagern sich nach langer Entbehrung zum Schmaus. Frauen und Kinder, die zurückgeblieben waren, kommen nach, und alle erhalten ihr Teil.
Aber das Fleisch wird so roh verschlungen, wie es vom abgehäuteten Bären geschnitten wurde. Wir sind im Ausgang des Tertiärs, etwa fünfhunderttausend Jahre vor Christi Geburt. Die Menschen, die wir hier sehen, beginnen eben erst, sich über die Tiere ihrer Umgebung zu erheben. Einstweilen ist der Unterschied nur gering. Sie besitzen eine Sprache, die nur etwa hundert verschiedene Worte hat. Sie verfügen über Knüppel und Feldsteine als Werkzeug, und einzelne Wandertruppen von vielleicht hundert Menschen bilden in sich eine Art Mittelding von Staat und Familie, nicht unähnlich den Affentruppen der tropischen Länder.
Jetzt sitzen sie beim Mahl, und alle erscheinen erfreut und zufrieden. Nur jener ältere Mann nicht, der den Bären zerlegte und hier eine Art Häuptling zu sein scheint. Mißmutig sitzt er vor seinem Stück und denkt an andere Zeiten. Er erinnert sich, wie damals der Berg plötzlich rote heiße Massen zu speien begann, wie diese den Berg herunter in den Wald flossen, und wie dann etwas Rotes und Züngelndes von Baum zu Baum sprang. Das Feuer ist es, für das ihre Sprache noch kein Wort kennt.
Er denkt weiter daran, wie sie vor jenem roten Ding aus dem Wald bis zum kahlen Felsen fliehen mußten, wie der Wald dann schwarz und tot darniederlag und wie sie dann nach Tagen sich wieder hineinwagten und da einen toten Bären fanden. Den hatte die rote Blume wohl eingeholt und getötet. Brennende Stämme waren über ihn niedergebrochen und dann zu Ende gebrannt. Als sie den Bären fanden, war er durch eine dicke, schwarze Kruste beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Aber Hunger tut weh, und sie hatten damals nach jenem großen Waldbrand seit Tagen nichts gegessen. So schlugen sie mit Knüppeln und Steinen die schwere Kruste beiseite, um zum Fleisch zu gelangen. Und – wie wundervoll hat jenes Bärenfleisch geschmeckt. So ganz anders, als dieses frische rote Zeug, das er da vor sich stehen hatte. Das ist jetzt viele Jahre her. Damals war er fast noch ein Knabe, und heute beginnt sich sein Haar weiß zu färben. Seit jener Zeit hat kein Berg mehr Feuer gespien. Einmal freilich fuhr wabernde Lohe aus wolkenschwerem Gewitterhimmel, und eine jener mächtigen Zypressen, die das Flußufer säumen, stand in Flammen. Aber vergebens hoffte er damals ein Weniges von diesem Feuer fangen zu können. Die Baumkrone brannte aus, ohne daß jemand dazu gelangen konnte.
Betrübt sitzt der Alte da, während seine Genossen es sich wohl sein lassen. Einmal in seinem Leben hat er gebratenes Fleisch gegessen. Und nun sitzt er und sinnt, wie wohl das Feuer den Menschen Untertan zu machen wäre. Wie sie es an geschützter Stelle pflegen und nähren könnten. Er weiß, daß es damals am Felsen haltmachen mußte, und er stellt es sich vor, wie man hier in jene Felsbucht das Feuer einfangen könnte, wie man ihm immer nur so viel Holz geben würde, um es am Leben zu halten, und wie man dann alle Tage gebratenes Fleisch haben könnte. Seine Genossen sehen es, wie der Alte sinnt und denkt, und schweigen erwartungsvoll. So ähnlich saß er auch damals tagelang umher, als er dann jenen scharfen Stein brachte, mit dem sie seitdem die Bären und Hirsche zerlegen. Sie erinnern sich, wie sie früher das Fell den Tieren mit den Zähnen vom Leibe reißen mußten, und hoffen, daß auch jetzt wieder der Alte irgend etwas Neues und Gutes zuwege bringen wird.
2
Zweihunderttausend Jahre sind ins Land gegangen. Wo früher Land war, flutet jetzt das Meer, und der alte Meeresboden hat sich gehoben und trägt reichen Waldbestand. Immer noch ziehen die Menschen als Jäger rastlos durch die Wildnis und bekämpfen mit Stein und Holz die Tiere
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