Ein neues Paradies
kann ich Ihnen nicht versprechen.«
Der Doktor lachte. »Nach dem Vortrag können wir darüber weiterreden.«
Schon geraume Zeit vor Beginn des Vortrags war der große Saal der Ausstellung bis auf den letzten Platz besetzt.
»Eine schauderhafte Fülle«, stöhnte der Domänenrat. »Ich ziehe den Aufenthalt in der frischen Luft meiner Felder diesem Gedränge hier ganz bedeutend vor.«
»Seien Sie zufrieden, daß wir die guten Plätze bekommen haben! Von hier aus werden wir alles gut hören und sehen können. Da kommt der Professor schon.«
Der Vortragende, ein älterer Mann, der ausgesprochene Typ des gelehrten Forschers, trat an das Pult. Unverkennbar waren die Spuren langer und schwerer Geistesarbeit in seine Züge gegraben. Aber als er jetzt zu reden begann, straffte sich die gebeugte Gestalt, und mit jedem Wort, das er sprach, nahm sein Vortrag die Zuhörer immer mehr gefangen.
»Meine Herren«, hub er an, »die Arbeiten, mit denen ich Sie heute bekannt machen will, gehen bis in das Jahr 1921 zurück. Damals gelang dem Professor Alexander Gurwitsch zuerst der Nachweis, daß alle im Wachstum befindlichen lebendigen Organismen eine Strahlung aussenden, durch die andere Organismen ebenfalls zum Wachstum angeregt werden. Gurwitsch stellte damals seinen berühmten Zwiebelversuch an, den ich Ihnen im Lichtbild zeigen werde.«
Der Saal wurde dunkel, während der Projektionsapparat Bilder auf die weiße Leinwand warf.
»Sie sehen hier eine gewöhnliche Küchenzwiebel, die man auf ein mit Wasser gefülltes Glas gestellt hat und die ebenso, wie es Ihnen ja von der Hyazinthenzwiebel her bekannt ist, glasigweiße Faserwurzeln in das Wasser getrieben hat. Wir haben es bei diesen Wurzeln mit sehr schnell wachsenden Organismen zu tun. Das Wachstum erfolgt einerseits durch eine ständige Zellteilung, andererseits durch ein einfaches Größerwerden der infolge der Teilung entstandenen kleinen neuen Zellen.«
Das Bild auf dem Schirm wechselte. Professor Olearius fuhr fort: »Hier erblicken Sie einen stark vergrößerten Querschnitt durch eine dieser Zwiebelwurzeln. Wie Sie sehen, ist die kreisförmige Fläche mit dunklen Punkten durchsetzt. Diese dunkleren Stellen sind Orte, an denen gerade Zellteilungen stattfinden. Die Abbildung läßt erkennen, daß das Wachstum durch Zellteilung über den ganzen Querschnitt hin erfolgt, wie aus der gleichmäßigen Verteilung der schwarzen Stellen unzweifelhaft hervorgeht.«
Wiederum warf der Apparat ein anderes Bild an die Wand.
»Hier, meine Herren, sehen Sie nun den berühmten Fundamentalversuch, nach dessen Bekanntwerden man geradezu von ›Zwiebelstrahlen‹ sprach. Links auf dem Bild ist die Wurzel einer lebendigen Zwiebel in eine senkrechte gläserne Kapillarröhre eingezogen. An einer Stelle ist die Röhre unterbrochen, so daß sich die Wurzel hier in freier Luft befindet. Rechts davon ist eine Wurzel einer anderen Zwiebel in einer waagrechten Kapillarröhre untergebracht. Das Ende dieser Wurzel ist etwa zwei Zentimeter von der ersten Wurzel entfernt.
Ja, meine Herren, das ist der ganze Versuch. Kindlich einfach, vielleicht kindisch einfach, werden manche sagen. Als aber Gurwitsch nach einigen Stunden von der ersten Wurzel links an der Stelle, die in der Höhe der waagrechten Wurzel gelegen hatte, einen Querschnitt machte und mikroskopisch untersuchte, da zeigte sich, daß auf der der zweiten Wurzel zugekehrten Seite die Zahl der Zellteilungen ganz gewaltig vermehrt war. Zweifellos hatte hier unter der Wirkung einer von der zweiten Wurzel ausgehenden Strahlung eine bedeutende Anregung des Wachstums der ersten Wurzel stattgefunden.
Nachdem Gurwitsch seinen Experimentalversuch mehrere hundertmal mit dem immer gleichen positiven Ergebnis wiederholt hatte, setzte er seine Arbeiten fort. An Stelle der unversehrten Wurzel benutzte er ein an der Spitze offenes Röhrchen, das er mit dem frischen Brei einer soeben zerriebenen Zwiebelwurzel füllte. Wieder gab es einen positiven Erfolg, eine unzweifelhafte Wachstumsanregung. Nun tat Gurwitsch einen bedeutenden Schritt vorwärts. An Stelle des Wurzelbreies nahm er Brei von frisch zerriebenen Kaulquappen zur Füllung des Röhrchens, und wieder zeigten sich die bekannten Wachstumsanregungen an der Zwiebelwurzel. Jetzt war der Schluß erlaubt, daß man es hier mit einer allen stark wachsenden Organismen gemeinsamen Strahlung zu tun haben müsse. Die Idee von einer nur der Zwiebel eigentümlichen Strahlung wurde hinfällig. Man konnte ganz
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