Ein neues Paradies
allgemein von Lebenstrahlen oder von Wachstumstrahlen sprechen. Professor Gurwitsch erfand dafür die Bezeichnung ›mitogenetische Strahlung‹.
So standen die Dinge um 1926, als sich auch andere Forscher dieser Sache anzunehmen begannen. Insbesondere waren es die Doktoren Reiter und Gabor, die es unternahmen, in Verbindung mit dem physikalischen Laboratorium von Siemens & Halske in Berlin und durch die reichen Hilfsmittel dieses Laboratoriums unterstützt, der Natur mit Hebeln und Schrauben ihre Geheimnisse zu entreißen. Zunächst wiesen sie die mitogenetische Strahlung bei allen stark wachsenden Gebilden, auch bei den bösartigen Krebsgeschwülsten nach. Sie werden vielleicht wissen, daß aufgrund dieser Entdeckung eine ziemlich wirksame Heilmethode für Krebserkrankungen entwickelt wurde.
Weiter aber bemühten sie sich, die geheimnisvolle Strahlung physikalisch zu ergründen. Ich will Sie mit den zahllosen, unendlich mühevollen und geistreichen Versuchen, die zu diesem Zweck angestellt wurden, nicht langweilen, sondern nur die Versuchsergebnisse, die zum ersten Male vor elf Jahren bekanntgegeben wurden, mitteilen. Danach ist die mitogenetische Strahlung eine einfache ultraviolette Strahlung innerhalb der Wellenlängen von zweihundertfünfzig bis dreihundertachtzig millionstel Millimeter. Innerhalb dieses Gebietes ist die Wirksamkeit der Strahlung aber stark verschieden. Ein Maximum der Wirksamkeit liegt bei zweihundertachtzig, ein anderes, noch viel stärkeres, bei dreihundertvierzig millionstel Millimeter Wellenlänge. In dem Gebiet dazwischen ist die Wirkung der Strahlen dagegen nicht nur gleich Null, sondern sogar negativ. Dieser Teil der Strahlung verhindert die Zellteilung. Wenn ich noch hinzufüge, daß es den zuletzt genannten Forschern auch noch, freilich mit unendlicher Mühe, gelang, das Vorhandensein dieser Wachstumstrahlung objektiv durch die Schwärzung einer hochempfindlichen fotografischen Platte nachzuweisen, so habe ich Ihnen damit einen allgemeinen Überblick über die Errungenschaften auf diesem Forschungsgebiet im Jahre 1929 gegeben.
Um diese Zeit nun begann ich mich selbst mit dieser Strahlung zu beschäftigen, und fast sofort stießen mir eine Reihe von scheinbar unlöslichen Fragen auf. Das stand ja fest: Der wachsende Organismus sendet Strahlen aus, die wachstumsfähige Organismen in seiner Umgebung ebenfalls zum Wachstum anregen. Also mußte ich fragen: Warum dauert diese Wechselwirkung nicht ununterbrochen weiter, warum wachsen beispielsweise die Teile einer Pflanze nicht bis ins Ungemessene? Die Ursache dafür, so sagte ich mir, kann nur darin liegen, daß der wachsende Organismus gleichzeitig auch wachstumverhindernde Strahlen aussendet. Vielleicht werden diese Strahlen im Laufe der Entwicklung immer stärker. Vielleicht wird schließlich ein Gleichgewichtszustand zwischen beiden Strahlungsarten eintreten, bei dem das Wachstum aufhört, sobald eine gewisse Grenze erreicht ist.
Ich möchte da, meine Herren, noch einmal weit in die Vergangenheit zurückgreifen. Schon vor fünfzig Jahren hat der Schriftsteller Wells in dem fantastischen Buch ›Die Riesen kommen‹ diese Frage behandelt, freilich ganz unwissenschaftlich und in vollkommen fantastischer Weise. Er läßt einen Erfinder auftreten, der sich zunächst mit den Wachstumskurven der verschiedensten lebendigen Organismen beschäftigt. In diesen Kurven sind auf der Waagrechten die Zeiten, auf den Senkrechten die dazugehörigen Wachstumslängen aufgetragen. Immer ergibt sich dabei, mag es sich nun um Pflanzen, um Tiere oder um Menschen handeln, das gleiche Bild. Die Kurve steigt zunächst sehr schnell an, beginnt sich dann aber zu krümmen und geht zu einer Zeit, die man als Wachstumsende, als Zeit der Reife bezeichnen kann, in eine Waagrechte über, das heißt, der betreffende Organismus wächst nicht mehr weiter. Wells läßt nun seinen Helden einfach ein Pulver erfinden, das etwa wie Kindermehl eingenommen oder bei Pflanzen wie Kunstdünger verwendet werden kann und die erstaunliche Eigenschaft besitzt, die Wachstumskurve ganz anders zu gestalten. So entstehen aus Kindern, die dieses Pulver von Jugend auf bekamen, Riesen von vierzig Fuß Höhe, aus Brennesseln und Bienensaugpflanzen, auf die aus Versehen etwas davon fiel, große Urwaldbäume.
Nun, meine Herren, so einfach ist die Sache in Wirklichkeit nicht. In einer Beziehung hat übrigens Wells doch das Richtige vorausgeahnt: er läßt seine Riesen nicht bis in die
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