Ein neues Paradies
halben Stunde abgestellt war, glühte der ganze Bau, und dichte Wolken leuchtenden Bleidampfes entwichen aus dem Ofenmund. Vergeblich versuchte man, durch Fluten von Wasser die Glut zu dämpfen. Die Wassermassen verzischten in der Luft, noch bevor sie den Ofen selbst erreichten.
Schließlich gab die feuerfeste Wand dieser Höllenglut nach und brach auf. In glühendem Strom ergoß sich das Blei auf den Boden und breitete sich weithin aus. Der vollkommen ebene Estrich des Ofenhauses begünstigte diese Ausbreitung. Beinahe tausend Quadratmeter dieses glatten Steinbodens waren jetzt gleichmäßig mit einer etwa millimeterstarken Bleischicht bedeckt, und jetzt ließ die Glut endlich nach. Zwar behielt das Blei immer noch eine Temperatur von etwa vierhundert Grad und blieb flüssig, aber man konnte sich doch in die Nähe wagen, konnte kleine Proben nehmen und untersuchen, was eigentlich geschehen war. Diese Untersuchung aber ergab ein wunderbares Resultat. Die ganze gewaltige Bleimenge war in das Stadium der zerfallenden Materie eingetreten. Was man dreißig Jahre hindurch im Laboratorium vergeblich erstrebt hatte, war hier durch einen Zufall, durch einen verbrecherischen Versuch geglückt. Eine Menge von zwanzig Tonnen in geschmolzenem Zustand war durch die Beigabe von einem halben Pfund zerfallender Masse ebenfalls in Zerfall geraten. Durch die Beigabe dieser geringen Menge hatte man ohne besonderen Aufwand den Energiebedarf der ganzen Welt für die nächsten zehn Jahre gedeckt. Wieder einmal hatte das Spiel des Zufalles die Technik ein großes Stück vorwärts gebracht.
Auf der Tagesordnung der Naturforscherversammlung, die im August des Jahres 1965 in Stuttgart tagte, stand auch ein Vortrag von Professor Hansen. Bei der allgemeinen Anerkennung und Wertschätzung, deren sich der greise Gelehrte in der wissenschaftlichen Welt erfreute, hatte man seinen Vortrag selbstverständlich mit größter Bereitwilligkeit angenommen. Aber die Teilnehmer jenes Kongresses wunderten sich im stillen doch über das eigenartige Thema, das Hansen sich gewählt hatte. Der Titel seines Vortrags lautete nämlich: ›Über eigenartige Lichterscheinungen auf dem dunklen Begleiter des Sternes Gamma Cygni.‹ Man wußte, daß Hansen sein ganzes Leben hindurch auf dem Gebiet der Physik und speziell auf demjenigen der energetischen Technik gearbeitet hatte, aber man konnte sich nicht recht einen Vers darauf machen, wie er plötzlich zu solchen Sternbeobachtungen gekommen war. Trotzdem herrschte gespannte Aufmerksamkeit, als Hansen an das Rednerpult trat und seine Ausführungen begann. Er sagte ungefähr folgendes:
»Sie wissen alle, meine verehrten Herren Zuhörer, daß der Stern Gamma Cygni einen dunklen Begleiter hat, der mit ihm zusammen um den gemeinschaftlichen Schwerpunkt der beiden Sterne kreist. Die Existenz des dunklen Sternes verrät sich durch die periodischen Verdunklungen des hellen Sternes, die wir von der Erde aus sehr gut wahrnehmen können. Obwohl wir den dunklen Stern selbst niemals erblickt haben, konnte man aufgrund dieser Verdunklungen genau seine Umlaufzeit, seine Maße und die übrigen Elemente seiner Bahn berechnen. Sie sehen nun hier das Spektrum des leuchtenden Sternes …« Bei diesen Worten entwarf der Professor mit Hilfe eines Projektionsapparates ein vergrößertes Bild dieses Spektrums auf eine weiße Wandfläche und fuhr dann fort: »Sie sehen, daß das Spektrum demjenigen der Sonne durchaus ähnlich ist. Es finden sich auf ihm die Linien sämtlicher Elemente, die auch im Sonnenspektrum vorkommen. Aus der Helligkeitsverteilung des Spektrums können wir mit großer Sicherheit schließen, daß die Temperatur dieses Sternes siebentausendfünfhundert Grad beträgt. Der Stern ist etwa fünfzehnhundert Grad wärmer als unsere Sonne, und nach den Ergebnissen der theoretischen Physik sind wir daher zu der Annahme berechtigt, daß seine Masse ungefähr das 1,25fache der Sonnenmasse beträgt.
Dies nächste Bild zeigt Ihnen dasselbe Spektrum noch einmal, aber zur Zeit der beginnenden Verdunklung durch den Begleiter aufgenommen. Sie bemerken hier einige Absorptionslinien, die den Beweis liefern, daß der dunkle Stern eine ziemlich bedeutende Atmosphäre besitzt, die in der Hauptsache aus Helium besteht. Nun, meine Herren, ein derartig massenhaftes Vorkommen von Helium ist immer verdächtig. Es läßt den ziemlich sicheren Schluß zu, daß auf einem derartigen Stern radioaktive Zerfallsvorgänge, deren Endprodukt ja das
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