Ein Ort für die Ewigkeit
gedämpfte Saxophontöne, die sie aber diesmal nicht kannte. Sie schwieg, weil sie wußte, daß Tommy da weitererzählen würde, wo er aufgehört hatte, wenn er soweit war.
Er setzte sich in seinem Sessel zurecht. »Aber es ist einfach so, daß die Leute bestimmte Dinge über einen vermuten, wenn sie wissen, daß man bei der Polizei war. Das wollte ich vermeiden. Ich wollte von vorn beginnen, als unbeschriebenes Blatt. Ich dachte, Alison Carter würde mich vielleicht endlich in Ruhe lassen, wenn ich meine Vergangenheit hinter mir ließe.« Sein Mund zuckte, aber was dabei herauskam, war eher eine Grimasse als ein Lächeln. »Hat nicht funktioniert, oder? Hier sind Sie und ich, und wir reden wieder darüber.
Ich habe gestern darüber nachgedacht, um meine Gedanken zu sammeln. Und es steht mir alles noch genauso klar vor Augen, wie es damals war, als ich es zum ersten Mal erlebte«, fügte er hinzu. »Ich bin so bereit wie eh und je. Also, fragen Sie.«
Tommy Clough war das Element, das zu Catherines Geschichte noch fehlte. Seine persönliche Wahrnehmung hatte die Lücken in ihrem Verständnis gefüllt, so als drehe sie ein Kaleidoskop mit durcheinanderfallenden Einzelstückchen, die sich jetzt zu einem Gesamtbild zusammensetzten. Er hatte ihr ein besseres Verständnis für George Bennett als Mensch und als Polizist ermöglicht und ihr dabei geholfen, Dinge zu verstehen, die ihr vorher unklar waren. Endlich hatte sie die tatsächlichen, verborgenen Gründe für die scheinbar mangelnde Zusammenarbeit zwischen Dorfbewohnern und Polizei begriffen. Und sie erfaßte die durchgehende Struktur ihrer Geschichte viel besser.
Wieder in Longnor, begann sie mit der langen und schwierigen Aufgabe, ihr Material zu gliedern und zu ordnen. Ihr Drucker ratterte unaufhörlich im Hintergrund, während sie verschiedene Papierstöße im Wohnzimmer auslegte. Abschriften ihrer langen Reihe von Interviews mit George, ein extra Stapel für ihre Notizen und Abschriften von jedem der anderen Zeugen, ein Stoß fotokopierte Zeitungsausschnitte, die Kopien, die sie durch einen Freund, der im Gerichtsarchiv arbeitete, von den Prozeßprotokollen bekommen hatte, und ein ordentlicher Stapel von zerlesenen, antiquarischen Penguin-Taschenbüchern über berühmte Prozesse, aus denen sie Hinweise und Anregungen entnahm, während sie schrieb.
Catherine hatte die harmlosen Aquarelle von den Schönheiten des Peak District, die ihre Vermieter ausgewählt hatten, von der Wand genommen und ersetzte sie durch Fotos von Scardale damals und heute, einschließlich Philip Hawkins Postkarten. An einer Wand hingen nur vergrößerte Fotos der Hauptbeteiligten, von Alison selbst bis zu einem ernsten George in Regenmantel und Filzhut, ein Schnappschuß eines Zeitungsfotografen nach einer Pressekonferenz. Die dritte Wand war mit offiziellen topographischen Karten bedeckt.
Fast zwei Monate versenkte sie sich völlig in die Geschichte von Scardale. Sie stand um acht Uhr auf und arbeitete bis halb eins. Dann fuhr sie die sieben Meilen nach Buxton, parkte bei
Poole’s Cavern
und stieg durch den Wald zu dem offenen Moorland hinauf, ging über die weite Fläche zu Salomons Tempel, dem abstrusen, viktorianischen Bauwerk über der Stadt. Sie kam durch den schattigen Wald Grin Low herunter und kehrte über die Green Lane zurück, an ihrem Elternhaus vorbei, wo sie aufgewachsen war. Ihr Vater war fünf Jahre zuvor gestorben, und ihre Mutter hatte das Haus verkauft und war in ein Altenheim in Devon gezogen, wo das Klima für alte Knochen günstiger war. Catherine hatte keine Ahnung, wer jetzt in dem Haus wohnte, und es interessierte sie auch nicht besonders.
Sie nahm an, es müßte noch viele Leute geben, mit denen sie zur Schule gegangen war, aber als sie nach London gezogen war, hatte sie ihre Vergangenheit abgestreift wie eine Schlange ihre Haut. Was Freundschaften anging, war sie eine Spätentwicklerin. Als Einzelkind hatte sie das Reich ihrer Phantasie mehr interessiert als die wirkliche Welt ihrer gleichaltrigen Freundinnen. Erst als sie mit anderen zusammenzuarbeiten begann, deren Gedanken sich in denselben Bahnen bewegten, hatte sie Menschen gefunden, mit denen sie wirklich starke freundschaftliche Bande knüpfte. Deshalb gab es keine teuren Bindungen aus der Kinderzeit, die sie wiederbeleben wollte. Sie hatte erwartet, daß sie im Supermarkt beim Einkaufen halbwegs vertraute Gesichter sehen würde, aber es war nicht so gewesen. Sie fühlte deshalb jedoch kein
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