Ein Ort für die Ewigkeit
George Bennett war geistig viel zu gesund, um nun nach fünfunddreißig Jahren überzuschnappen, ganz egal, wie traumatisch die Erinnerungen waren. Und er hatte selbst mehr als einmal gesagt, daß die neuerliche Beschäftigung mit dem Fall weniger beunruhigend sei, als er befürchtet hatte.
Nach dieser Erkenntnis hatte Catherine überhaupt nichts mehr, an das sie sich zur Erklärung klammern konnte. Wut begann in ihr zu schwelen wie Sodbrennen. Sie hatte ihr spätes Frühstück erst halb gegessen, als die Post gekommen war, und hatte einen Brief ihrer Lektorin mit Anmerkungen und Änderungswünschen erwartet, nicht diese Katastrophe. Ihr erster Impuls war, den Hörer aufzunehmen, aber bevor sie drei Ziffern von Georges Nummer gewählt hatte, knallte sie ihn wieder auf die Gabel. Jahrelange Erfahrung als Journalistin hatte ihr gezeigt, wie leicht es war, jemanden am Telefon abzuwimmeln. Sie mußte dieses Problem unter vier Augen besprechen.
Sie ließ die halbe Tasse Kaffee und den angebissenen Toast auf dem Tisch zurück. Vierzig Minuten später bog sie beim Mühlenteich rechts ein. Während jeder dieser vierzig Minuten hatte Catherine vor Wut und Frustration geschäumt. Ausschließlich Georges Eigenmächtigkeit war ihr durch den Kopf gegangen, und sie begriff nicht, was sie hervorgerufen haben konnte. Es hatte nie auch nur das geringste Anzeichen gegeben, daß er eines solch anmaßenden Benehmens fähig war. Sie hatte gedacht, sie seien Freunde, und konnte nicht verstehen, wie ein Freund sie so behandeln konnte.
In ihrem Inneren wußte Catherine, daß das Buch mehr ihr als ihm gehörte und daß er kein Recht hatte, es ihr wegzunehmen. Seine Drohung mit rechtlichen Schritten schreckte sie nicht, denn sie wußte, was im Vertrag stand. Aber sie war beunruhigt wegen der Auswirkungen, die sein Widerstand auf den Verkauf und ihren Ruf haben konnte. Wenn jemand das Buch ablehnte, der den Fall in- und auswendig kannte, könnte ihr das einen Schaden zufügen, den sie nie mehr ausgleichen konnte. Und das war etwas, was Catherine nicht akzeptieren würde, ohne sich zu wehren. Wenn George auf die Freundschaft mit ihr keine Rücksicht nahm, dann würde sie es über sich bringen müssen, dies ebenfalls nicht zu tun, so schwierig es auch sein mochte.
Sie fuhr langsam die schmale Straße hinauf. Beide Autos der Bennetts standen in der Einfahrt, so daß sie an dem Haus aus Kalkstein vorbeifahren und den Wagen in einer Parkbucht weiter oben abstellen mußte. Sie schritt zum Haus hinunter und lief schnell über die Einfahrt.
Die Klingel hallte wider wie in einem leeren Haus. Aber sicher würde doch Anne zu Hause sein, auch wenn George zu Fuß ins Dorf gegangen war. Mit ihrer Arthritis konnte sie das Haus praktisch nur noch im Auto verlassen. Catherine trat von der Haustür zurück und ging seitlich ums Haus herum, weil sie dachte, sie vielleicht im Garten zu finden, wo sie die Sonne genossen, bevor sie unangenehm heiß wurde. Aber da hatte sie sich geirrt. Außer dem sehr gepflegten Rasen und den farblich genau abgestimmten Blumenrabatten war weit und breit nichts zu sehen.
Erst als sie wieder zur Haustür zurückgekehrt war, fiel ihr eine mögliche Lösung des Rätsels ein. Wenn Paul und Helen ein Auto gemietet hatten, war es möglich, daß sie mit George und Anne einen Tagesausflug machten. Dieser Gedanke bestärkte sie nur noch in ihrem Beschluß, sich mit George auszusprechen. Wenn sie warten mußte bis abends, um mit ihm reden zu können, dann würde sie das eben tun. Sie stand in der Einfahrt und überlegte, ob sie das Haus vom Auto aus überwachen sollte oder ob sie eine Stunde in der Buchhandlung beim Mühlenteich stöbern könnte, als sie hörte, daß jemand ihren Namen rief.
Die Nachbarin stand vor ihrer Haustür und schien überrascht. »Catherine?« sagte sie noch einmal.
»Hallo, Sandra«, antwortete Catherine und schaffte nur aus rein beruflichem Interesse ein Lächeln. »Sie wissen wohl nicht zufällig, wo George und Anne hingegangen sind?«
Sie starrte sie erstaunt an. »Haben Sie es nicht gehört?« fragte sie schließlich und konnte eine leichte Genugtuung nicht unterdrücken, daß sie etwas wußte, was Catherine unbekannt war.
»Gibt es etwas, was ich hätte hören sollen?« fragte sie gelassen.
»Ich dachte, Sie wüßten das. Er hatte einen Herzinfarkt.«
Catherine blickte sie starr und ungläubig an.
»Einen Herzinfarkt?«
»Er ist heute früh mit dem Krankenwagen in die Klinik gekommen«, sagte
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