Ein Ort für die Ewigkeit
einmal. Janis Wainwrights Mutter war Dorothy Carter vom Shire Cottage, Scardale. Einer der Trauzeugen bei Dorothys Heirat war Roy Carter, auch von Shire Cottage, Scardale, darauf hätte sie wetten können. Derselbe Roy Carter, der Ruth Crowthers Mann und Alison Carters Vater war. So wäre eine starke Ähnlichkeit zwischen Janis und Alison also nicht überraschend. Genetische Vererbung konnte zu bemerkenswerten Ergebnissen führen. Aber das erklärte immer noch nicht die Narbe. Wenn Janis nicht Alison war, wieso hatte sie dann bitte dasselbe charakteristische Merkmal?
Die einzige Erklärung, die sie sich vorstellen konnte, war, daß die Narbe aus einer eigenartigen Selbstverstümmelung der jugendlichen Janis entstanden war, die sie sich nach dem Verschwinden und mutmaßlichen Tod Alisons selbst zugefügt hatte. Sie konnte sich ausmalen, wie die beiden zusammen aufwuchsen und die Familie davon sprach, sie könnten eineiige Zwillinge sein, denn sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Und dann starb Alison, und Janis beschloß, sie am Leben zu erhalten, indem sie sich auf dieselbe Art zeichnete und Alisons Einmaligkeit wiederherstellte. Es war ein grotesker Gedanke, aber Catherine wußte, daß Teenager zum wunderlichsten Verhalten fähig sind.
Der blinkende Cursor zog ihren Blick auf sich. LSA hatte mehr als drei Urkunden geschickt. Sie tippte wieder auf die Taste für die nächste Seite, und diesmal saß sie da und starrte den Bildschirm mit offenem Mund und vollkommen perplex an. Sie hatte nur routinemäßig eine Anfrage gemacht, um wirklich ganz sicher zu gehen. Aber LSA hatte das gefunden, wonach sie nicht wirklich geglaubt hatte, suchen zu sollen.
Janis Hester Wainwright war am elften Mai 1959 gestorben.
Catherine saß lange da und starrte den Bildschirm an. Es gab überhaupt nur einen Sachverhalt, der irgendwie einleuchtend war. Sie zündete sich eine Zigarette an und versuchte, sich eine andere Möglichkeit vorzustellen, die zu den Fakten passen würde, aber ihr fiel nichts ein. Nichts paßte, außer wenn sie mit der Annahme begann, daß Alison Carter im Dezember 1963 nicht gestorben war. Wer würde eher ein Mädchen aufnehmen und verstecken als entfernt lebende Verwandte? Sie hatte also die Identität ihrer toten Cousine Janis angenommen und war in Sheffield weiter aufgewachsen und zur Frau gereift.
Ein Gedanke kam ihr, bei dem sich ihr die Nackenhaare sträubten. Vor all den Jahren hatte Don Smart die
Daily News
überredet, eine Hellseherin um Rat zu bitten, die gesagt hatte, Alison sei wohlauf und gesund und lebe in Sicherheit in einem Haus in einer Straße einer großen Stadt. Alle hatten damals abschätzige Bemerkungen darüber gemacht. Es war ein zu unwahrscheinliches Ende der Entwicklung, das ihnen da geboten wurde. Aber jetzt sah es doch so aus, als hätte die Hellseherin entgegen aller Wahrscheinlichkeit recht gehabt.
Ein Klopfen an der Tür schreckte Catherine aus ihrer Versunkenheit auf. Tommy war gekommen, um ihr zu sagen, er fahre nach Cromford, um zu sehen, ob jemand zu Hause war. Wenn er niemanden antraf, hatte er vor, nach Derby weiterzufahren.
»Bevor Sie gehen«, sagte sie, »sehen Sie sich mal das hier an.« Sie lud ihn ein, sich vor den Laptop hinzusetzen, und zeigte ihm, wie man die Seiten durchlaufen lassen konnte. Er setzte sich schweigend und las die vier Urkunden mit gewissenhafter Gründlichkeit.
Dann wandte er sich um und sah sie besorgt an. »Sagen Sie mir, Sie haben eine andere Erklärung gefunden«, bat er mit leiser Stimme.
Catherine schüttelte den Kopf. »Es gibt keine, die mir eingefallen wäre.«
Er rieb sich mit Fingern, die noch muskulös und kräftig waren, das Kinn. »Ich muß gehen und bei der Familie einen Besuch machen«, sagte er schließlich und seufzte. »Wir müssen darüber sprechen, was als nächstes passiert. Werden Sie noch wach sein, wenn ich zurückkomme?«
»Ja. Ich gehe in Buxton etwas essen, die vier Wände hier treiben mich andernfalls zum Wahnsinn«, sagte sie und zeigte auf die Bilder von Scardale, die sie umgaben. »Ich werde gegen neun Uhr zurück sein.«
Er nickte. »Dann bin ich auch wieder hier. Machen Sie sich keine Sorgen, Catherine, wir zwei werden das schon herauskriegen.«
»Oh, ich glaube, die Hauptsache haben wir schon herausgekriegt, Tommy. Aber was wir damit machen sollen, das wird ein bißchen schwerer zu lösen sein.«
Tommy lächelte der Schwester auf der Intensivstation zu. »Ich gehöre zur Familie«, sagte er mit dem
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