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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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hatte, und zu jung, um zu begreifen, daß er ein Mensch mit Fehlern und Schwächen war. Sie meint, wenn sie zuließe, daß Phil sie adoptiert, wäre das ein Verrat am Andenken ihres Vaters. Ich vermute, sie wird das mit der Zeit anders sehen, aber sie ist ein eigensinniges Mädchen und läßt sich nicht in eine Richtung drängen, die ihr nicht paßt.«
    Sie standen jetzt auf dem Treppenabsatz, und Ruth drehte sich zu ihm um, ihr Gesicht war gefaßt, nichts ließ sich daraus ablesen. »Ich habe Phil überredet, es erst einmal zu lassen.« Sie zeigte an George vorbei den Korridor entlang, der in der Mitte, wo das Haus irgendwann einmal angebaut worden war, eine seltsam krumme Biegung machte. »Alisons Zimmer ist das letzte auf der rechten Seite. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich nicht mitkomme.« Wieder war dies eine Feststellung und keine Frage. George bemerkte, daß er diese Frau bewunderte; sie schaffte es, unter dieser extremen Belastung noch genau zu wissen, was sie wollte.
    »Danke, Mrs. Hawkin. Ich brauche nicht lange.« Er ging den Gang entlang und fühlte ihren Blick auf sich ruhen. Aber sogar dieses unangenehme Gefühl lenkte ihn nicht von einer genauen Wahrnehmung seiner Umgebung ab. Der Teppich war abgenutzt, aber bestimmt einmal teuer gewesen. Einige der Drucke und Aquarelle an der Wand waren alt und fleckig, hatten aber trotzdem ihren Reiz nicht verloren. George erkannte mehrere Landschaften aus dem südlichen Teil der Grafschaft, wo er aufgewachsen war, daneben die historischen Anwesen von Chatsworth, Haddon und Hardwick. Er bemerkte, daß der Boden an der Biegung des Korridors uneben war, als hätten die Handwerker in allen drei Richtungen gepfuscht. Bei der letzten Tür rechts blieb er stehen und holte tief Luft. Näher würde er Alison Carter vielleicht nie kommen. Die Wärme umhüllte ihn wie eine Decke und schien seltsam gut zu dem Zimmer zu passen, das trotz seiner Größe gemütlich wirkte. Weil es an der Ecke des Hauses lag, hatte Alisons Zimmer zwei Fenster, die es geräumiger erscheinen ließen. Die Fenster waren lang und flach, jedes in vier Teile unterteilt, die die fast halbmeterdicken Wände aus dem achtzehnten Jahrhundert erkennen ließen. Er schloß die Tür und ging zur Mitte des Raums.
    Erste Eindrücke sind wesentlich, sagte sich George. Es war warm. Ein Heizofen und ein ebenfalls mit Strom geheizter Ölradiator. Bequem: Das große Bett war mit einer dicken Steppdecke aus dunkelgrünem Satin bedeckt, und in den zwei Korbsesseln lagen dicke Kissen. Modern: Der langflorige, dicke Teppich war braun mit einem unregelmäßigen Muster aus olivgrünen und senffarbenen Kringeln, und an den Wänden hingen Bilder von Popstars – nach den schiefen Ecken zu urteilen die meisten aus Zeitschriften ausgeschnitten. Kostspielig: Der massive Holzkleiderschrank und eine dazu passende Frisierkommode mit einem langen, tief herunterreichenden Spiegel und einem Hocker davor waren unbeschädigt, so daß sie relativ neu sein mußten. George hatte Schlafzimmermöbel dieser Art gesehen, als er und Anne ihre eigene Einrichtung ausgesucht hatten, und wußte ziemlich genau, wieviel sie kosteten. Billig war das nicht. Auf einem Tisch unter dem Fenster stand ein Dansette-Plattenspieler, dunkelroter Kunststoff mit cremefarbenen Knöpfen. Ein dicker Stoß Platten war ziemlich unordentlich darunter aufgestapelt. Philip Hawkin war offensichtlich entschlossen, einen guten Eindruck auf seine Stieftochter zu machen, vermutete er. Vielleicht dachte er, der Weg in ihr Herz könne durch materielle Güter geebnet werden, die sie als Kind einer Witwe in einer so armen Gemeinde wie Scardale entbehrt haben mußte.
    George ging zum Frisiertisch hinüber und setzte sich unbeholfen auf den Hocker. Er sah sich im Spiegel. Das letzte Mal hatten seine Augen so ausgesehen, als er mitten im Lernen für sein Examen gewesen war. Und er hatte ein paar Stoppeln unter dem linken Ohr übersehen, eine Folge der mangelnden Eitelkeit bei den Methodisten. Da es in der Sakristei keinen Spiegel gab, hatte er sich gezwungen gesehen, sich im Rückspiegel seines Wagens zu rasieren. Keine Werbeagentur, die etwas auf sich hielt, würde ihn einsetzen, um für etwas anderes als Schlaftabletten zu werben. Er zog eine Grimasse und machte sich an die Arbeit. Alisons Haarbürste lag mit den Borsten nach oben auf dem Frisiertisch, und George entnahm fachmännisch so viele Haare wie möglich. Zum Glück war sie nicht zu pingelig gewesen, und er konnte

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