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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Ungereimtheit, die einzige, die George fand. Er steckte die Papierfetzen in eine weitere Plastiktüte. Es gab eigentlich keinen Grund, zu glauben, sie seien Beweismaterial, aber er wollte in dieser Sache kein Risiko eingehen. Er würde es sich nie verzeihen, wenn das eine Detail, das sich als wesentlich herausstellte, übersehen würde. Das konnte nicht nur seiner Karriere schaden – viel wichtiger war, daß dadurch vielleicht Alisons Mörder davonkommen würde. Er hielt inne, mit der Hand schon fast am Türknopf.
    Es war das erste Mal, daß er etwas vor sich selbst zugegeben hatte, von dessen Logik er als Profi schon längst überzeugt war. Er suchte nicht mehr nach Alison Carter. Er suchte ihre Leiche. Und ihren Mörder.
    Donnerstag, 12. Dezember 1963, 18 Uhr 23
    Erschöpft ging George den Weg vom Gutshaus hinunter. Er wollte im Einsatzzentrum in der Versammlungshalle vorbeischauen, falls sich etwas Neues ergeben hatte, dann die Haare bei der Polizei in Buxton abgeben und nach Hause fahren, ein heißes Bad nehmen, ein ordentliches, selbstgekochtes Essen verspeisen und ein paar Stunden schlafen. Das war während einer Ermittlung wie dieser ein normaler Arbeitstag. Aber vorher wollte er noch ein paar Worte mit dem jungen Charlie Lomas reden.
    Er war kaum bis zur Dorfwiese gekommen, als sich plötzlich eine Gestalt vor ihm aus dem Schatten löste. Überrascht blieb er stehen, schaute hin und konnte kaum glauben, was er sah. Seine Übermüdung reizte ihn zu einem nervösen Kichern, das er aber unterdrücken konnte, bevor es in die neblige Nachtluft entschlüpfte. Was da jetzt klarere Umrisse bekam, hätte einen Maler in Entzücken versetzen können. Die vornübergebeugte alte Frau, die zu ihm heraufschielte, war der Inbegriff einer Hexe – mit einer Hakennase, die fast bis zum Kinn hinunterhing, inklusive der Warze, und einem schwarzen Tuch über Kopf und Schultern. Sie mußte das Original zu dem Foto sein, das er in der Tasche trug. Der merkwürdige Zufall ihres plötzlichen Auftauchens ließ ihn unwillkürlich auf die Tasche mit ihrem Abbild klopfen. »Sie sind also der Boss«, sagte sie, und ihre hohe Stimme klang wie das Knarren eines Tores.
    »Ich bin Detective Inspector Bennett, wenn Sie das meinen, Madam«, erwiderte er.
    Ihr Gesicht faltete sich zu einem verächtlichen Ausdruck. »Aufgeblasene Titel«, sagte sie. »In Scardale ist das Zeitverschwendung, Junge. Allerdings verschwendet ihr sowieso eure Zeit. Keiner von euch hat genug Phantasie, sich vorzustellen, was hier vor sich geht. Scardale ist nicht wie Buxton, wissen Sie. Wenn Alison Carter nicht da ist, wo sie sein sollte, dann ist die Antwort darauf im Kopf von jemand in Scardale zu suchen, nicht im Wald, wo sie liegt und wartet, bis man sie findet wie einen Fuchs in der Falle.«
    »Vielleicht könnten Sie mir helfen, sie zu finden, Mrs. …?«
    »Und warum sollte ich das tun, Mister? Wir haben hier immer alles unter uns abgemacht. Ich weiß nicht, was in Ruth gefahren ist, Fremde in unser Tal zu rufen.« Sie wollte sich auf dem Pfad an ihm vorbeidrücken, aber er trat zur Seite und verstellte ihr den Weg.
    »Ein Mädchen ist verschwunden«, sagte er ruhig. »Das ist etwas, was Scardale nicht allein lösen kann. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Sie leben in unserer Welt. Aber wir brauchen Ihre Hilfe genauso wie Sie die unsere.«
    Die Frau räusperte sich plötzlich heftig und spuckte ihm vor die Füße auf den Boden. »Bis Sie mir zeigen, daß Sie wissen, nach was Sie suchen sollten, kriegen Sie keine Hilfe von mir, Mister.« Sie wandte sich ab und ging über die Wiese davon, erstaunlich flink für eine Frau, die vermutlich kaum jünger als achtzig Jahre sein konnte. Er stand da und sah ihr nach, bis sie im Nebel verschwand wie jemand, den ein Zeitsprung plötzlich in eine andere Welt versetzt hat.
    »Sie haben also Ma Lomas kennengelernt«, sagte Detective Sergeant Clough, der plötzlich neben ihm stand, mit einem Grinsen.
    »Wer ist Ma Lomas?« fragte George verwirrt.
    »Wie bei Shakespeares Sylvia sollte die Frage nicht lauten: ›Wer ist Ma Lomas?‹, sondern ›Was ist sie?‹« verkündete Clough feierlich. »Ma ist die Matriarchin von Scardale. Sie ist die älteste Einwohnerin, die einzige, die aus ihrer Generation noch übrig ist. Ma behauptet, sie hätte ihren einundzwanzigsten Geburtstag an Queen Victorias diamantenem Thronjubiläum gefeiert – aber ich weiß nicht recht.«
    »Sie sieht alt genug dafür aus.«
    »Ja. Aber wer, zum

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