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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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zur Seite. »Sie haben wahrscheinlich studiert.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Ja. Ich habe in Manchester Jura studiert.«
    Sie nickte. »Sie werden also wissen, wie das ist, wenn man studiert. Man muß ihr nie sagen, daß sie ihre Hausaufgaben machen soll, nicht wie Derek und Janet. Ich glaube, sie macht die Sachen für die Schule gern, obwohl sie sich lieber die Zunge abschneiden würde, als es zuzugeben. Gott weiß, woher sie das hat. Ich und auch ihr Vater waren nicht verrückt nach der Schule. Wir konnten gar nicht schnell genug davon wegkommen. Aber sie ist keine Streberin. Sie hat schon auch gern Spaß, unsere Alison.«
    »Was macht sie, wenn sie Spaß haben will?« fragte George vorsichtig nach.
    »Sie sind alle ganz verrückt mit dieser Popmusik, sie und Janet und Derek. Die Beatles, Gerry and the Pacemakers, Freddie and the Dreamers zum Beispiel. Charlie auch, aber er hat nicht genug Zeit, er kann nicht jeden Abend herumsitzen und Platten hören. Aber er geht in die Pavilion Gardens tanzen und sagt Alison, welche Platten sie als nächstes kaufen soll. Sie hat mehr Schallplatten als der Laden, sage ich ihr immer. Man bräuchte mehr als zwei Ohren, wenn man das alles hören wollte. Phil kauft sie ihr. Er geht jede Woche nach Buxton und wählt eine Sammlung aus der Hitparade aus, auch die, von denen Charlie ihr erzählt hat …« Sie verstummte.
    »Was tut sie noch?«
    »Manchmal geht Charlie mittwochs abends mit ihnen nach Buxton zum Rollschuhfahren.« Ihr stockte der Atem. »O Gott, wäre ich gestern abend doch mit ihnen hingegangen«, schluchzte sie, dieser plötzliche Gedanke streckte sie nieder. Ihr Kopf fiel nach vorn, und sie zog so fest an der Zigarette, daß George den Tabak knistern hörte. Als sie aufschaute, standen Tränen in ihren Augen und eine flehentliche Bitte, die Georges professionelle Abwehrhaltung durchdrang und direkt sein Inneres traf. »Finden Sie sie, bitte«, stöhnte sie.
    Er preßte die Lippen aufeinander und nickte. »Glauben Sie mir, Mrs. Hawkin, genau das will ich tun.«
    »Sogar wenn es nur wäre, um sie zu begraben.«
    »Ich hoffe, soweit wird es nicht kommen«, sagte er.
    »Ja. Sie und ich, wir beide hoffen das.« Sie stieß ein dünnes Rauchwölkchen aus. »Sie und ich, wir beide.«
    Er wartete einen Moment, dann sagte er. »Wie steht es mit Freundinnen? Mit wem ist sie befreundet?«
    Ruth seufzte. »Es ist schwer, außerhalb von Scardale Freunde zu gewinnen. Die Kinder haben nie die Gelegenheit, nach der Schule mit den anderen etwas zu unternehmen. Wenn sie zu Partys oder so eingeladen werden, haben sie danach oft keine Heimfahrmöglichkeit. Höchstens bis nach Longnor können sie mit dem Bus fahren. Also gehen sie erst gar nicht. Außerdem haben die Leute in Buxton etwas gegen die aus Scardale. Sie denken, wir sind alle Heiden und Idioten wegen der Inzucht.« Sie klang sarkastisch. »Die Kinder werden gehänselt. So bleiben sie im großen und ganzen unter sich. Unsere Alison kommt gut mit anderen klar, und von ihren Lehrern höre ich, daß sie in der Schule beliebt ist. Aber sie hatte nie jemand, die man ihre beste Freundin nennen könnte, außer ihrer Cousine.«
    Noch eine Sackgasse. »Da ist noch etwas … ich hätte mir gern Alisons Zimmer angesehen, wenn ich darf. Nur um ein Gefühl dafür zu bekommen, was für ein Mensch sie ist.« Er fügte nicht hinzu: »Und damit ich mir Haare aus ihrer Haarbürste nehmen kann, die die Gerichtsmediziner mit denen vergleichen können, die wir am Baumstamm im Wäldchen gefunden haben.«
    Sie stand auf, ihre Bewegungen schienen die einer älteren Frau. »Ich habe das Heizöfchen dort oben angemacht. Nur für den Fall …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
    Er folgte ihr in den Flur, der jetzt nicht wärmer war als am Abend zuvor. Der Gegensatz verschlug ihm fast den Atem. Ruth ging auf einer breiten Treppe voran, deren Eichengeländer mit den gedrechselten, spiralig gewundenen Stäben vom Polieren über viele Jahre fast schwarz geworden war. »Noch eine Sache«, sagte er, während sie hinaufgingen. »Ich nehme an, daß Alison noch den Namen Carter trägt, weil Ihr Mann sie nicht offiziell adoptiert hat?«
    Sie verkrampfte blitzartig ihre Nacken- und Rückenmuskeln, so schnell, daß George fast glauben konnte, er habe sich das eingebildet. »Phil war dafür«, sagte sie. »Er wollte sie adoptieren. Aber Alison war erst sechs, als ihr Vater … starb. Das war alt genug, um sich erinnern zu können, wie lieb sie ihn

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