Ein Ort wie dieser
alle Julie aufgehängt«
, sagte der Vater.
»Lorie ist wie eine große Schwester für sie«
, fügte die Mutter hinzu.
»Und das hier?«
, fragte die Stimme. Die Kamera zeigte eine Großaufnahme von einem kleinen Schülerinnenschreibtisch. Die Mutter griff nach einem pailletten- und stickerverzierten Heft.
»Das ist das Tagebuch von Julie. Sie notiert so gern ihre kleinen Geheimnisse.«
Der Vater lachte gerührt, während die Mutter vor laufender Kamera das Tagebuch durchblätterte.
»Sehen Sie, es ist voller Fotos von Lorie. Und auch von Pferden. Julie liebt Pferde.«
Audrey war hypnotisiert.
»Was hast du uns da für einen Schwachsinn eingeschaltet?«, fragte ihr Vater.
»Aber das ist doch soo toll! Das ist ein tleines Mädchen, und die Eltern machen ihr eine Überraschung, weil sie Lorie einladen.«
»Das heißt
Dein Star zu Besuch
«, fügte Madame Cambon hinzu. »Das gefällt den Kleinen.«
Sie sah ihre Tochter nachsichtig an.
»Schalt um«, befahl Monsieur Cambon Audrey. »Wir zahlen doch keine Gebühren, um uns Leute anzusehen, die sich Überraschungen machen.«
Madame Cambon begnügte sich damit, den Ton ein wenig leiser zu stellen, und Audrey erinnerte sich an die große Neuigkeit, die sie zu verkünden hatte.
»Ich bin zu einem Deburtstag eindeladen!«
Es herrschte kurze Stille, dann sagte ihre Mutter: »Ach ja?« Audrey stand vom Tisch auf und rannte zu ihrem Ranzen, um die hübsche Einladungskarte zu holen. Madame Cambon entzifferte: »Eglantine de Saint-André … Ist das ein Name?«
Brandon schnaubte höhnisch, dann fuhr Madame Cambon fort: »Von 14 bis 18 Uhr, Mittwoch der 26 . … Die de-Dingsbums sind ja lieb, aber mittwochs arbeiten wir doch.«
»Ich hab da Spiel«, erklärte Brandon vorbeugend.
Audrey warf jedem Einzelnen am Tisch den Blick einer Ertrinkenden zu.
»Also … tann ich da nicht hin?«
»Nee«, sagte Monsieur Cambon.
Im Fernsehen hatten die Eltern gerade alle Schätze ihrer Tochter vor der Kamera ausgebreitet. Und die Offstimme fragte:
»Was meinen Sie, wie wird Julie reagieren, wenn sie Lorie sehen wird, die sich mitten in der Nacht über sie beugt?«
Die Eltern sahen sich einfältig an:
»Das wird wie ein Traum. Wie Zauberei. Das ist das schönste Geschenk, das man ihr machen kann.«
Tränen brannten in Audreys Augen.
»Jetzt zeig uns schon, was sonst so läuft«, rief Monsieur Cambon ungeduldig.
Innerhalb weniger Tage wurde Eglantines Geburtstag zu
der
großen Sache der Erstklässler. Es gab Auserwählte und Ausgeschlossene. Daraus ergaben sich Erpressungen. Lisa weigerte sich zu kommen, wenn Claire nicht eingeladen würde. In der Pause gab es Gerangel. Tom raufte sich mit Démor, der ihm gesagt hatte: »Du bist nicht eingeladen, weil du die Mädchen immer ärgerst.« Kurz: Es war ein Drama. Audrey weinte, als sie gestand, dass niemand aus ihrer Familie sie zu den Saint-Andrés bringen könnte.
»Wirst du sechs Jahre alt, Eglantine?«, fragte Cécile vor der gesamten Klasse.
»Ja, Madame, und Mama kauft den größten Kuchen, den …«
»Ich habe dich nicht nach dem Kuchen gefragt«, unterbrach Cécile sie. »Da nicht alle zu dir kommen können, schlage ich vor, dass wir deinen Geburtstag auch in der Schule feiern.«
Es herrschte allgemeine Erleichterung.
»Mama macht einen Schokoladenkuchen«, versprach Robin.
Audrey setzte noch eins drauf: »Ich bringe Bonbons mit!«
»Und können wir auch Musik machen?«
Cécile willigte in Florianes Vorschlag ein, ohne über die Folgen nachzudenken.
»Jaa! Wir machen eine Party!«, rief Lisa.
»Ich hab
Street Generation
auf CD !«, brüllte Audrey.
»Das ist was für Mädchen«, spottete Tom und begann mit verklärtem Gesichtsausdruck zu singen: »Dieser Junge nahm mein Herz, jetzt hat er es für immer …«
Glücklicherweise begann gerade die Pause, und Cécile schob all ihre Kleinen in den Hof. Im Gang begegnete sie Melanie Muller, die ihr mühsam zulächelte, und Cécile dachte bestürzt: Oje, die Party!
»Eine Party?«, fragte Madame Martin, die Mama von Philippine, verwundert. »Ich frage mich, wann ihr in dieser Klasse mal was lernt.«
Sie war gekommen, um ihre Tochter von der Schule abzuholen.
»Aber ich lerne doch was!«, rief Philippine empört.
»Dabei ist die erste Klasse so wichtig«, fuhr Madame Martin fort, ohne ihr zuzuhören. »Das ist das Jahr, in dem man lesen lernt.«
Abrupt blieb Philippine vor einem Zeitungskiosk stehen. Sie deutete mit dem Finger auf eine fette
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