Ein Ort wie dieser
Saint-André begriff: »Warum das geschehen ist? Meinst du das? Ein zweites Mal …«
»Warum …«
Es machte ihm zu schaffen. Fünf Jahre zuvor war er von dummen kleinen Rowdys wegen seiner Jacke zusammengeschlagen und halb tot auf dem Bürgersteig liegen gelassen worden. Wegen ihnen hatte er auf alles verzichtet, was Neid hervorrufen kann, auf jedes äußere Zeichen von Reichtum. Er hatte sich dem riesigen Volk derer angeschlossen, die nichts besitzen. Aber er war genauso zusammengeschlagen worden.
»Was habe … was habe ich denn … Böses getan?«, brachte er endlich mühsam hervor.
»Nichts, Eloi.«
Sie fügte nichts weiter hinzu, aber ihre Augen sprachen für sie:
Und ich, Eloi, was habe ich Böses getan?
Da begriff der junge Mann, dass es in dieser ungerechten Welt zumindest eine Ungerechtigkeit gab, die zu beseitigen in seiner Macht stand. Er suchte auf der Bettdecke nach der Hand seiner Mutter, nahm sie und murmelte, während er die Augen wieder schloss: »Verzeih mir.«
Kapitel 22 In dem man nicht erfährt, was »ungeheuer« bedeutet
An diesem Montag schlug Cécile notgedrungen wieder den Weg zur Schule ein. Führte sie Leon, oder führte Leon sie? Sie hielten sich fest an der Hand, und Leon redete, um sie von ihrem Kummer abzulenken.
»Oh, guck mal, der dicke rote Mann vor der Schule!«, rief er fröhlich.
Tatsächlich stand da ein großer, kräftiger und dickbäuchiger Mann auf dem Bürgersteig und trat von einem Fuß auf den anderen. Er trug eine mit Silberstreifen verzierte Baggyhose und einen knallroten Kapuzenpulli, obwohl er längst über das Alter dieser Art Kleidung hinaus war.
»Guten Tag«, grüßte er und tänzelte vor Cécile hin und her.
Sie erkannte den Papa von Steven.
»Oh, guten Tag, Monsieur. Geht es gut, ja?«, sagte sie mechanisch.
»Es geht. Aber es ist wegen Steven. Ich war bei der Psychologin, weil ich das doch sollte, hat doch Ihr Direktor gesagt, der Montoriol …«
Georges hatte darum gebeten, dass die Schulpsychologin mit Steven ein paar Tests machen sollte. Monsieur Mussidan war daraufhin herbestellt worden, um die Ergebnisse zu besprechen.
»Steven ist nicht normal«, sagte er völlig unerwartet.
Die Psychologin war präziser gewesen und hatte gesagt: »Ihr Sohn verfügt über einen Intelligenzquotienten leicht unter der Norm.« Cécile sah Monsieur Mussidan verstört an.
»Wie ›nicht normal‹? Seine Therapeutin findet, dass er große Fortschritte macht. Und seine Zeichnungen …«
»Ja, die Zeichnungen«, unterbrach der dicke Papa tänzelnd. »Aber ich red ja über das Lesen mit Ihnen. Die andere Psycho, die in der Schule, die sagt, Steven lernt nichts mit den normalen Kindern. Der soll in das Dings, wissen Sie, das für die Doofen?«
Cécile war immer bestürzter.
»Meinen Sie das CLIS , die Förderklasse?«
»Genau«, bestätigte Monsieur Mussidan. »Die Schule für Bekloppte. Das habe ich Steven gesagt.«
»Was haben Sie Steven gesagt?« Cécile begann sich aufzuregen.
»Na, dass er zu den Doofen muss. Muss ihm doch schließlich einer sagen.«
Cécile rang die Hände, vielleicht, um sich zurückzuhalten, dem dicken Tölpel ihr gegenüber eine Ohrfeige zu verpassen.
»Monsieur«, sagte sie, »dass CLIS ist eine Integrationsklasse für Kinder mit Lernschwierigkeiten …«
Stevens Papa nickte. Sagte er doch, eine Klasse für die Bekloppten.
»Und so oder so wird Steven mit mir Lesen lernen«, beschloss Cécile plötzlich. »Selbst, wenn ich ihn wiederholen lassen muss. Er ist nicht anormal, er ist nicht dumm. Er braucht einfach nur ein bisschen mehr Zeit als andere. Und er braucht Vertrauen.«
Der Papa hörte auf, herumzutänzeln, und senkte den Kopf, kleinlaut wie ein ausgeschimpftes Kind. In einer Aufwallung von Zärtlichkeit legte Cécile ihm die Hand auf den Arm: »Wir schaffen das, Monsieur Mussidan. Das ist hier genau der richtige Ort für Ihren Sohn.«
Sie entfernte sich, und der kleine Leon folgte ihr. Als sie im Hof waren, flüsterte er ihr zu: »Der war blöd, der dicke Mann, oder?«
Sie gab Leon einen Klaps auf den Hintern: »Lauf du jetzt in deine Klasse!«
Im Hof kam es jeden Tag zum großen Wiedersehen der ganzen Baoulé-Sippe. Sie hatten sich so viele Wundergeschichten zu erzählen. Das Haus von Doktor Pommier war bereits mehrfach Gegenstand der Berichte von Prudence und Pélagie gewesen. Die sprudelnde Badewanne hatte viele Anhänger gefunden, und das Heimkino hatte Triumphe gefeiert. Aber der kleine Zoo von Madame
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