Ein Ort wie dieser
Vater ist Anwalt. Das kann hilfreich sein.«
Er schrieb eine Telefonnummer auf einen Klebezettel und hielt ihn Cécile hin.
»Für mich ist es heikel, mich da einzumischen. Aber vielleicht können Sie …«
Ganz entschieden überschritt er jede rote Linie.
»Lassen Sie sich eine Krankschreibung ausstellen. Und seien Sie am Montag auf Ihrem Posten.«
Cécile stand also wieder draußen vor der Schule, mit dem kostbaren Zettel. Sie erinnerte sich an Madame de Saint-André und ihren Gesichtsausdruck einer schönen, abwesenden Dame. Wie sollte sie es wagen, sie anzurufen, unter welchem Vorwand, mit welchem Recht?
»Hallo? Ich … Ich würde gerne mit Madame de Saint-André sprechen.«
»Das bin ich.«
»Ach ja, ich … Hier ist Mademoiselle Barrois, die Lehrerin von Eglantine.«
Stille am anderen Ende. Entsetzte Stille.
»Hallo? Hören Sie mich?«
»Ist Eglantine etwas …«
»Eloi ist etwas zugestoßen«, unterbrach Cécile. »Hat er sie nicht angerufen?«
Wieder Stille. Diesmal verblüfft.
»Eloi ruft uns nie an, Mademoiselle.«
Die Stimme war eisig. Cécile bedauerte es, angerufen zu haben. Aber es war zu spät, um aufzulegen.
»Ihr Sohn ist von der Polizei festgenommen worden.«
Wieder musste Cécile von dem nächtlichen Abenteuer berichten. Madame de Saint-André am anderen Ende der Leitung hörte ihr zu, ohne zu unterbrechen, als ob die Geschichte sie nichts angehe.
»Gut«, sagte sie schließlich. »Ich werde … ich werde versuchen, meinem Mann das mitzuteilen. Sie wissen sicherlich, dass Eloi sich mit … seinem Vater zerstritten hat?«
Plötzlich setzte sie sich von ihrem Mann ab.
»Geben Sie mir eine Nummer, unter der ich Sie erreichen kann, Mademoiselle.«
Kaum hatte Cécile aufgelegt, klingelte das Telefon.
»Montoriol. Ich hatte gerade Nathalie am Apparat. Sie ist im Vereinsbüro. Sie wurde heute Morgen freigelassen. Aber sie hat Eloi nicht wiedergesehen und …«
Georges zögerte: »… und sie macht sich Sorgen. Sie hat ihn am Boden liegen sehen, auf dem Bahnsteig der Metro. Aber ich denke, wenn es …«
Er räusperte sich: »… ein Problem gegeben hätte, hätte die Polizei die Familie benachrichtigt.«
»Gil hat mir gesagt, dass Eloi keinerlei Ausweispapiere bei sich trägt«, antwortete Cécile.
Sie hörte die Schulklingel durchs Telefon.
»Tut mir leid, Cécile, ich muss los.«
Cécile verbrachte einen hektischen Nachmittag. Sie ging zum Vereinsbüro, um erst Nathalie zu befragen und dann andere junge Leute von der AWG , die festgenommen und wieder freigelassen worden waren. Die Zeugenaussagen stimmten überein. Eloi hatte den Polizisten nicht angegriffen, sondern hatte sich ihm mit ausgebreiteten Armen entgegengestellt, um Gil Zeit zur Flucht zu verschaffen. Der Mann hatte gedacht, er werde angegriffen, und hatte zugeschlagen. Manche wollten einen Gummiknüppel gesehen haben. Andere sagten dazu nichts. Aber alle stimmten in der Aussage überein, dass Eloi schwer zu Boden gestürzt war. Nathalie hatte ihn gerufen, als sie abgeführt wurde, aber er hatte nicht reagiert. Cécile telefonierte mit dem Kommissariat, in dem die jungen Vandalen die Nacht verbracht hatten. Niemand hatte dort von Eloi gehört.
Um halb fünf holte Cécile Leon von der Schule ab und machte sich schnell mit ihm aus dem Staub, um sich keinen Fragen auszusetzen. Als sie in ihre Straße einbog, sah sie zu ihrer Überraschung Madame de Saint-André vor dem Haus. Immer noch mit fernem Blick, fast unnatürlich.
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«
»Möchten Sie kurz zu mir raufkommen?«, schlug Cécile ihr eingeschüchtert vor.
Madame de Saint-André nahm im Wohnzimmer Platz und sah sich neugierig um. Dann starrte sie Cécile an. Ihr brannte eine Frage auf den Lippen, die sie nicht zu stellen wagte. Aber sie sagte: »Mein Mann ist nach Paris gefahren. Bis jetzt haben wir keinerlei Neuigkeiten. Aber wir haben Beziehungen, wir werden alles daran setzen, um herauszufinden …«
Ihre stolze Stimme brach. Und die Mutter kam zum Vorschein: »Ich verstehe das nicht. Ich habe nie verstanden, was mit ihm los war. Er hat uns verstoßen. Er war ein so lieber kleiner Junge. Immer an meinem Rockzipfel. Sogar zu eng an meinem Rockzipfel. Und eines Tages … Er hat gesagt, wir würden nur leben, um Geld zu verdienen und auszugeben. Diese Gedanken haben ihm irgendwelche anderen jungen Leute eingeflüstert. Er hat seinem Vater gesagt, er wolle nicht mehr von unserem Geld abhängig sein. Das
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