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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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Gervais – um genau zu sein: vier Hunde, drei Katzen, zwei weiße Mäuse und sechs Wellensittiche – hatte ebenfalls lebhaften Erfolg gehabt.
    »Das stinkt vielleicht bei ihr!«, erklärte Honorine ganz stolz. »Es ist kaum zu glauben!«
    »Bei Madame Acremant stinkt es schlimmer«, sagte Felix und zog eine Packung Zigaretten aus seinem Rucksack.
    »Du spinnst! Hast du die geklaut?«, fragten Démor und Toussaint empört.
    Felix kicherte und drückte das Päckchen zusammen. Er hatte mit dem Sohn von Marie-Claude, der eine Dummheit nach der anderen beging, eine geraucht.
    »Und wie ist es bei Madame Muller?«, wollten die Kinder wissen.
    Clotilde hob verzückt den Blick. Dieser kleine Martin, was war der süß! Aber sie machte sich wirklich Sorgen wegen der vorderen Backenzähne, die nicht rauskommen wollten, aber ihm das Zahnfleisch anschwellen ließen. Womöglich würde er noch eine Ohrenentzündung bekommen. Und Lola war so hübsch. Clotilde badete sie.
    »Melanie findet, ich bin eine echte kleine Mama«, verkündete sie stolz.
    Donatienne sagte nichts, sie genoss still ihr Glück, ihren Zahnarzt bei jedem Abendessen zu sehen. Démor und Toussaint redeten nur vom Futtern, weil Omchen sie mästete wie zwei Spanferkel.
    »Alphonse! Alphonse!«, riefen die Baoulé-Kinder, als sie den Ältesten sahen.
    Monsieur Montoriol kam oft erst, wenn es bereits klingelte. Alphonse hatte gerade noch die Zeit, Felix und Leon zu begrüßen, indem er das tat, was sie den »Hasen-Check« nannten. Sie klatschten sich mit den Händen ab, dann stießen sie die Fäuste zusammen und machten mit Zeigefinger und Mittelfinger das V der Hasenohren. Damit der Check vollständig war, musste man die Ohren bewegen und dazu
quiek, quiek
sagen. Der andere Witz von Alphonse bestand darin, laut zu fragen: »Wie geht’s euch, gut?«
    Alle mussten antworten: »Gut«. Alphonse war wirklich der Chef.
     
    An diesem Montagmorgen fühlte Cécile sich total erledigt. Demotiviert. Keinerlei Lust zu arbeiten. Sie würde die Woche langsam mit dem üblichen »Was gibt’s Neues?« beginnen. Sie setzte sich immer mit einer Pobacke auf ihren Schreibtisch und fragte die Kinder: »Na, was gibt’s Neues?«
    Jeder kam dann mit seinen kleinen Erzählungen. Eglantine hatte einen neuen Hamster bekommen, Tom seinen Patenonkel gesehen, Audrey hatte sich gewogen und fünfhundert Gramm verloren. Dann würden sie ein paar Lieder à la Montoriol singen. Das konnte nicht schaden. Danach würde Cécile ein neues Abenteuer von Kicko-Kack erzählen. Und mit Zeichnen würden sie es dann gemütlich bis zur Pause schaffen.
    »Cécile! Cécile!«
    Melanies Rufen zerriss die Watte, in die Cécile eingetaucht war.
    »Er ist da.«
    Cécile dachte an Eloi. Er ist da, er lebt, er ist aus dem Koma erwacht.
    »Georges beschwatzt ihn in seinem Büro. Beeil dich, bereite deine Tafel vor.«
    Cécile wurde von Kopf bis Fuß eisig kalt, als hätte Melanie ihr einen Eimer Wasser übergeschüttet. Gerade hatte sie begriffen. Er war da. Er. Der Killer. Sie fasste sich mit der Hand an die Stirn. Gleich würde sie ohnmächtig werden.
    »Nein, Nein!« Melanie schüttelte sie. »Du musst durchhalten. Wir stehen dir bei. Ich kümmere mich drum, dass deine Schüler sich aufstellen. Geh schnell in deine Klasse.«
    Cécile rannte zu ihrem Raum. Nicht nachdenken. Handeln. Es ging um den Klang »eu«. Kicko-Kack würde heute mit der Eule spielen. Eine Eule zeichnen. Wie geht eine Eule? »Hase und Eule haben heute viel Freude«. Das wäre die heutige Schreiblektion.
    Hinter ihr solidarisierte sich unauffällig die Schule. Melanie sorgte dafür, dass die Erstklässler sich zwei und zwei aufstellten, und Marie-Claude übernahm mit Feldwebelstimme die Ansprache: »Ihr führt euch ordentlich auf oder es knallt, hast du kapiert, Baptiste?«
    Georges hielt den Inspektor immer noch in seinem Büro fest, indem er ihm von der drohenden Schließung der Schule, von der Konkurrenz der Saint-Charles-Schule und von den Baoulé-Kindern erzählte.
    »Das werde ich mir gut merken«, sagte Monsieur Marchon und sah demonstrativ auf seine Uhr. »Aber Sie entschuldigen mich jetzt bitte …«
    Es war Zeit. Monsieur Marchon überquerte den Hof und wusste, dass er alle Blicke auf sich zog. Er war ein dicklicher Mann mit runden Wangen, einer lächerlichen kleinen runden Nase und Lippen, die so fest zusammengeklemmt waren wie eine Mausefalle. Er glaubte, dem Bild des strengen-aber-gerechten Inspektors zu entsprechen. Aber er sah

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