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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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zwanzig, hundert, tausend Mädchen nicht gereicht, um es zu übertönen, die Stimme seiner Frau am Telefon: Lass uns darüber reden, wenn du wieder da bist.
    Er wusste natürlich, was das bedeutete – eine Entscheidung war getroffen worden. Ohne ihn. Ohne dass er auch nur geahnt hätte, dass ein Entscheidungsprozess im Gange gewesen war.
    Sie würde ihn verlassen.
    »Komm«, schnurrte Lolita unter dem Tisch, »gehen wir aufs Zimmer.«
    »Ich muss telefonieren.« Panisch warf Wegner ein paar Hunderter zwischen die Gläser, verstaute sein Glied und zwängte sich zwischen bloßen Beinen und der Tischkante hindurch. Er geriet ins verstörende Flackern zweier Discokugeln, das Dröhnen harter Elektrobässe. Der Druck in seiner Brust stürzte abrupt in den Magen hinab, und er begann zu rennen, und weil er die Toiletten nicht sofort fand, eilte er hinaus ins Freie.
    Vor dem Gebäude herrschte Hochbetrieb, Männer und Frauen kamen an, fuhren ab. Er lief an dem flachen Haus entlang, bog um die Ecke, während er die Maultaschen und Biere und Schnäpse schon in der Kehle spürte.
    Hinter dem Bordell begann der Wald. Dankbar stieg er über einen Holzzaun, rannte ins Gebüsch und fand einen Baum, der ihn hielt, während er sich die Verzweiflung aus dem Leib kotzte.

52
    KABYLEI
    »Monsieur«, sagte Madjer. »Wir müssen weg.«
    Eley saß vor Richter, wollte aufstehen, konnte nicht. Richters Kopf war zur Seite gesunken. Aus zahllosen Eintrittswunden in Schultern und Brust drang Blut.
    Sie saßen in Blut.
    Vier Tage, fünf Tote, dachte er. Am Ende hattest du doch recht.
    Er spürte Madjers Hand auf seiner Schulter. »Kommen Sie.«
    Zögernd stand er auf, blickte dann auf Richter hinunter.
    »Nein«, sagte Madjer. »Ausgeschlossen.«
    Eley nickte. Unmöglich, die Leiche zum Auto zu bringen, nach Algier.
    »Sie sollten Fotos machen.«
    »Ich sollte ihn beerdigen.«
    »Die Armee wird dafür sorgen, dass er in Deutschland beerdigt werden kann.«
    Madjer hatte recht.
    Also machte er Fotos.
    Karima, der Mann aus dem Steinhaus, zwei junge Kerle, Madjer und Eley. Alle anderen lebten nicht mehr.
    In der Dunkelheit waren sie durchs Tor geschlüpft, hockten dicht aneinandergedrängt an der Südseite der Mauer, in der breite Lücken klafften. Im Hof brannten noch immer mehrere Feuer. Die beiden Gebäude waren zerstört, der Gemüsegarten, der kleine Ölbaumhain, die Dattelpalmen im südlichen Bereich zerschossen.
    Karima und einer der jungen Männer sprachen leise miteinander. Eley erkannte an ihren Gesten und ihrer Mimik, dass sie sich einig waren. Sie würden es versuchen.
    »Sie wollen los«, bestätigte Madjer. »Bevor es hell wird und die Fallschirmjäger kommen.«
    Die Hubschrauber waren ein Stück herangeflogen, seitdem hatten sie ihre Position nicht verändert. Hartnäckig lauerten sie am Himmel. Wer diese ratissage leitete, würde davon ausgehen, dass es Überlebende gab und dass sie vor Tagesanbruch in die Berge fliehen wollten. Also wartete er darauf, dass sie es versuchen würden.
    »Tut es nicht«, sagte Eley.
    »Warum?«
    Er erklärte es.
    Madjer übersetzte, er sprach keuchend, Schmerzen in der Stimme. Niemand schien zuzuhören. »Wir können nicht bleiben«, sagte er.
    »Ich weiß«, erwiderte Eley. »Wie geht’s Ihrem Arm?«
    Jemand hatte Handtücher um Madjers rechten Arm gewickelt und ihn mit einem Gürtel an der Taille fixiert. Die Handtücher waren durchnässt, Blut tropfte von seinen Fingern. »Ich spüre ihn nicht.«
    »Sie müssen ins Krankenhaus.«
    Madjer schüttelte den Kopf, sagte: nur nach Bouzeguène, dort gebe es einen Arzt, der helfen werde.
    Sie teilten sich auf. Karima und die beiden Jungen in der einen Gruppe, Eley, Madjer und der Mann aus dem Steinhaus, der Yazid hieß, in der zweiten. Die erste Gruppe würde sofort aufbrechen, in Richtung Osten, Eley und die beiden anderen Männer später, in Richtung Süden, von wo sie gekommen waren.
    Die fünf umarmten sich zum Abschied. Karima tippte Eley mit harten Fingern auf die Schulter, stand für Momente über ihm, das dunkle Gesicht von Schmerzen und Trauer gezeichnet. Es kam näher, ein Anflug von Zorn zog es zusammen. Mit einer Hand griff sie ihm ins Haar, krallte die Finger zusammen. »Prends-tu soin de Sadek«, zischte sie.
    Eley unterdrückte die aufkeimende Wut, nickte nur. Ja, er würde sich um Madjer kümmern. Würde ihn nach Bouzeguène bringen, koste es, was es wolle.
    Wenigstens das.
    Sie liefen los, an den Resten der Mauer entlang, Karima humpelnd,

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