Ein paar Tage Licht
Krawatte aus dem Hemdschlitz, rollte die Ärmel herunter und langte nach dem Sakko.
»Lass das, bitte«, sagte Benmedi.
»Was?«
»Das Anziehen. Das Fertigmachen.«
»Entschuldigung.«
»Es macht mich nervös.«
Hamit hängte das Sakko über die Stuhllehne, schlug die Ärmel wieder um.
»Man muss nicht hetzen«, sagte Benmedi.
»Nein.«
»Er ist ja dann für immer weg.«
»Aber nicht weit weg.«
»Nein, weit nicht.«
»Sie können ihn besuchen, wenn Sie Ihre Frau besuchen.«
»Ja«, sagte Benmedi.
Er blickte aus dem Fenster, sah Dani Janke und Jenny an der Straße vor dem Haus stehen, in Schwarz, Blumen in der Hand. Auch der Junge hatte kommen wollen, Robin, doch seine Eltern ließen ihn nicht.
Ja, sie waren Mörder, Enkel und Großvater Benmedi.
»Ist es in Ordnung, wenn ich draußen eine rauche?«, fragte Hamit.
»Natürlich.«
Benmedi setzte sich an den Tisch, strich mit der Hand über den verhüllten Körper, fand Djamels Arm. Er tastete nach seinen Fingern, hätte sie gern umfasst wie damals in Algier, als sie Hand in Hand durch die Straßen gegangen waren, ein Elfjähriger mit Ball und sein Großvater. Aber sie hatten die Tücher zu straff gewickelt, er kam nicht an die Finger.
So ließ er die Hand auf Djamels Arm liegen, der auf irgendeine Weise auch Moulouds Arm war, und bereitete sich auf den Abschied von seinem Sohn und seinem Enkel vor.
73
PARIS
Mitte März, die trüben, letzten Wochen des Winters. Dicht über den Häusern hingen aschgraue Wolken wie an den Tagen zuvor, als wären sie dort oben festgezurrt, leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Wind trieb den Gestank von Abgasen und Moder heran, von schimmliger Feuchtigkeit, auf den Straßen und Dächern gegenüber schmutzige Reste von Eis und Schnee.
Eley saß auf einer Bank, sah zu, wie die Regentropfen auf dem Wasser der Seine aufschlugen. Allmählich wurde der Atem ruhiger.
Er kam noch nicht weit, konnte nur ein paar Hundert Meter gehen, dann musste er sich setzen. Aber es wurde besser, jeden Tag. Jeden Tag kam er ein Stückchen weiter, konnte er den Arm einen Millimeter höher heben. Abends, beim Einschlafen, glaubte er zu spüren, wie die Löcher in der Lunge, den Knochen, den Muskeln wieder um ein paar Fasern und Partikel mehr zusammenwuchsen.
Du solltest in eine Fernsehshow, Ralf. Was du alles spürst. Reden wir über die Zukunft.
Ich will nach Paris, Harry.
Sie wollen dich in Wiesbaden. Haben da eine neue Stelle für dich erfunden, Abteilungsleiterebene, »Der Auserwählte, der immer recht hat, bloß hört keiner auf ihn«. Langer Titel, vielleicht findest du eine hübsche Abkürzung.
Ich gehe nach Paris.
Ich kümmere mich drum.
Landrichs Gesicht war das Erste gewesen, was er gesehen hatte, nachdem er auf einer Rottweiler Intensivstation aufgewacht war. Die langen Züge von bitterem Gram und Sorge verzerrt.
Zwei Monate später hatte Landrich alles in die Wege geleitet. Im Mai würde Eley im Sicherheitsdienst der Botschaft in Paris anfangen. Mitte kommenden Jahres würde einer der beiden Verbindungsbeamten nach Deutschland zurückkehren. Eley würde die Stelle übernehmen.
Eley, dem die Welt der Verbindungsbeamten plötzlich wieder offenstand. Sah man von Algerien ab, natürlich.
Zahlreiche Anzugträger hatten ihn in der Rekonvaleszenz besucht und ihm die Hand geschüttelt. Obwohl er doch immer zu spät gekommen war. In Bouzeguène, in Pessin, bei Altniederndorf. Nichts hatte er verhindern können. Trotzdem war er seit Altniederndorf rehabilitiert.
Inoffiziell. Offiziell hatte sich nichts geändert. Die Namenlosen gab es nicht. Es gab nur AQM . In Algerien, in Deutschland.
Er stand auf, setzte seinen Weg in Richtung Notre-Dame fort, wie jeden Tag seit zwei Wochen, seit er in Paris war. Mit langsamen Schritten überquerte er die Kreuzung am Pont Saint-Michel, ging noch ein Stück am Fluss entlang, dann steuerte er die nächste Bank an, die Luft wurde schon wieder knapp.
Altniederndorf, eine Katastrophe. Fünf Tote. Sandra Keller, Manfred, drei Schutzpolizisten. Der vierte Uniformierte und die beiden Wachleute von Meininger Rau waren wie die Lkw-Fahrer unverletzt geblieben.
Der hinterste Lkw war zu drei Vierteln ausgeräumt, die Holzkisten mit den Gewehren auf mehrere Kleintransporter verteilt worden. Auf den Ladeflächen der anderen Lkws hatten sie Sprengstoff verteilt. Sie hatten die Gefangenen um die nächste Kurve getrieben, waren über Nebenstraßen und Forstwege in verschiedene Richtungen davongefahren.
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