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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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»Oui?«
    »Haben Sie noch Fragen?«
    Ja, er hatte viele Fragen, stellte keine, non, merci . Er wurde höflich verabschiedet, schüttelte Toumi und Soudani die Hand, nicht den beiden Frauen, das hätte sich nicht geziemt.
    Wenig später stand er auf dem Parkplatz, schloss in der mild-feuchten Oktoberluft die Augen, erste Regentropfen fielen, in seinem Kopf sagte Amel: Bonjour, chéri, et au revoir, chéri.

12
    BERLIN
    So also endete dieses Leben, dachte Katharina Prinz. Sauerstoffmaske, Schläuche, Sabber.
    Ein Plastikbeutel mit Urin. Andere Plastikbeutel mit Flüssigkeiten, die in den Körper hineinliefen. Gestank nach Exkrementen, irgendetwas war mit dem Darmkatheter schiefgegangen.
    Stumme, übermüdete Menschen, die Stunde um Stunde am Krankenbett saßen, ineinandergesunken, ohne Zuversicht. Manchmal standen sie auf und holten Kaffee. Manchmal weinten sie zusammen. Beteten. Sprachen mit dem Menschen, der nichts hörte und nichts sah.
    Sie hatten vergessen, dass noch jemand anwesend war, im Halbdunkel an der Wand, der nicht zur Familie gehörte, nicht einmal ein Freund war, nur eine Protegée im viel zu fröhlichen gelben Kleid …
    Heinrich Zimmermann war achtundfünfzig, vierzehn Jahre älter als sie. Sie dachte, dass sie auf dem besten Weg in dasselbe Krankenbett war. Zu wenig Schlaf, zu viel Stress. Das Bedürfnis nach Verantwortung und Einfluss.
    Immerhin würden an ihrem Sterbebett keine weinenden Menschen sitzen. Sie hatte keine Kinder, und ihr Lebenspartner war an diesem Wochenende ausgezogen.
    Lautlos stand sie auf und verließ das Krankenzimmer.
    Manche Eigenschaften liebte man, manche schätzte man. Michaels Gründlichkeit hatte sie am meisten geschätzt. Nichts war je unerledigt geblieben. Nichts angefangen und dann vergessen worden.
    Nun war er gründlich gegangen.
    Er hatte die Namensschilder »Prinz/Schüring« an Haustür, Briefkasten und Wohnungstür durch mit »Prinz« bedruckte Aufkleber ersetzt. Hatte alles mitgenommen, was ihm gehörte.
    Natürlich, dachte Prinz, während sie erschöpft durch die halb leere Wohnung hoch über dem Landwehrkanal ging. Aus diesem Grund hatte sie das Wochenende bei ihrer Schwester in Steglitz verbracht. Damit er genug Zeit hatte, ganz zu gehen.
    Er musste ein phänomenales Gedächtnis für Dinge haben, die er mitgebracht oder angeschafft hatte.
    Das Sofa, die Sesselgruppe, ein Teil der Regale. Bilder, überhaupt fast die ganze Kunst und alle Pflanzen. Der Flachbildfernseher, ein weißes Rechteck an der minimal dunkleren Wand.
    Sämtliche Dockingstationen für iPods und iPhones. Immerhin, die Hi-Fi-Anlage gehörte ihr. Der Plattenspieler, siebenhundert Schallplatten, Schätze ihrer Jugend, ohne die sie nicht hätte leben wollen, alles da. Die Lautsprecher allerdings waren fort.
    Das Bett. Handgearbeitet, Loom, sah aus wie Rattan, war aber aus Papierfasern. Wundervoll. Fort. Die teuren Esstischstühle, achtmal Charles Rennie Mackintosh. Sie hätte bei Ikea eingekauft. Nicht Michael. Alles hatte schön, teuer, besonders sein müssen.
    Für uns, Kati, wir wollen es doch schön haben.
    Der massive Holztisch, von ihren Eltern geerbt, wirkte deplatziert ohne Stühle, ohne Teppich. Auch der tiefblaue Egg Chair in ihrem Zimmer war noch da.
    Für dich, Kati.
    Ein Geschenk zu ihrer Rückkehr aus Algier.
    Sie hatten zwanzig Jahre überstanden, darunter fast acht Jahre Distanzbeziehung. Zweimal Rabat, zweimal Algier, verteilt auf eineinhalb Jahrzehnte, er war währenddessen in Berlin geblieben. Keine leidenschaftliche Liebe, aber ein Gefühl tiefer Verbundenheit und Vertrautheit. Man gehörte zusammen, komme, was da wolle.
    Dann, vor ein paar Monaten, urplötzlich Diskussionen über ein Thema, das nie eine Rolle gespielt hatte. Ich möchte Kinder, hatte er gesagt. Und sie hatte erwidert: Ich nicht, ich bin zu alt für Kinder .
    Also war er gegangen.
    Sie setzte die Wanderung durch ihr skelettiertes Leben fort. Einhundertfünfzig Quadratmeter Altbau, die einmal geschmackvoll reduziert eingerichtet gewesen waren. Jetzt wirkten die Räume kahl und öde.
    Selbst die alten Geräusche hatte er mitgenommen. Die Wohnung klang anders ohne die vielen Teppiche. Sie war nicht mehr diskret und heimelig, sondern laut und anstrengend. Von allen Seiten Hall, und überall knarzte das Parkett ungedämpft. Sie hasste dieses Knarzen. Es gab ohnehin zu viele Nebengeräusche in der Welt.
    Sie trat an die Fensterwand, blickte auf Landwehrkanal und Maybachufer hinunter. An ihren Schläfen kribbelte

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