Ein paar Tage Licht
einen Couchtisch Platz genommen, Amel, die als Untersuchungsrichterin die Justiz vertrat, Abderrahmane Toumi, Gastgeber und Mitarbeiter der DDSE , jenes dem Militär zugeordneten Nachrichtendienstes, der für alle Vorgänge mit Terrorismusbezug zuständig war, und in perfekt sitzender Uniform der legendäre greise General Soudani, Repräsentant des Verteidigungsministeriums; dazu eine weibliche Schreibkraft und Eley.
Amel hatte auf Französisch zusammengefasst, was am Freitag in Constantine geschehen war. Jetzt sagte sie: »Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Tagen oder Wochen eine Lösegeldforderung gestellt wird. Selbstverständlich werden wir Ihre Botschaft und Ihr Außenministerium auf dem Laufenden halten.«
Eley wandte den Blick ab, die kühle, scheinbar unbeteiligte Stimme im Ohr, die ihm so schmerzhaft fremd war.
Er griff nach einer Zigarette, zündete sie an.
Bonjour, chéri, et au revoir, chéri, hatte dieselbe Stimme vor nicht einmal zwölf Stunden in einem Hotelbett in Essaouira dicht an seinem Ohr geflüstert.
Dieselbe andere Stimme.
»Wir möchten betonen, dass die Unversehrtheit der Geiseln für uns höchste Priorität hat«, fuhr Amel fort, »dass wir mit Terroristen aber grundsätzlich nicht verhandeln. Außerdem möchten wir Sie höflich daran erinnern, dass Sie in Algerien keine Ermittlungsbefugnisse haben. Wir bitten Sie deshalb, Algier in den nächsten Tagen nicht zu verlassen.«
Eley sah auf. »Ich möchte morgen nach Constantine. Mir den Tatort ansehen.«
»Die Spurensicherung ist noch nicht abgeschlossen. Wir haben der Botschaft Fotos zukommen lassen. Vielleicht genügen sie?«
Er hielt ihrem Blick stand. Die Augen wie die Stimme, fremd und kühl. Er wusste, dass sie über dem Abgrund balancierte. Sowohl Toumi als auch General Soudani konnten ihre Karriere mit einem Wort beenden. »Kann ich die Aufnahmen der Überwachungskameras sehen?«
»Leider nicht.«
»Sie unterliegen der Geheimhaltung, Monsieur Eley«, sagte Toumi und lächelte. »Sie kennen das bestimmt von den Amerikanern.« Er senkte die Stimme, ahmte mit künstlichem Bass »die Amerikaner« nach: »National security. Top secret.«
Eley lachte höflich.
Toumi, sein Ansprechpartner bei der DDSE , war jung, blass, hochintelligent. Kein Paranoiker wie viele seiner älteren Kollegen, er hatte sich Funktion und Vorgehensweise eines Geheimdienstes nicht bei der Staatssicherheit der DDR abgeschaut, die nach der Unabhängigkeit 1962 zum sozialistischen Bruder geworden war. Aber auch er war höchst empfindlich, was Einmischung von außen betraf. Die kollektive Erinnerung an die Kolonialherrschaft Frankreichs saß tief, selbst bei den Spätgeborenen. Nur Algerien bestimmte, was in Algerien geschah.
»Auf den Aufnahmen ist nichts zu sehen, was Sie nicht ohnehin schon wissen«, sagte Toumi tröstend.
»Verstehe.«
Toumi, Eley, Amel griffen fast gleichzeitig nach ihren Teetassen, tranken, nahmen sich eines der kleinen, süßen Gebäckstücke, die in so gut wie jeder algerischen Behörde auf den Tisch kamen. Nur General Soudani verharrte unbewegt. Er pflegte keinerlei Laster, im Gegensatz zu Toumi, der ohne Zigarette nicht vorstellbar war, ohne den Griff zum Gebäck, ohne das Gel, das die schwarzen Haare auffällig glänzen ließ.
»Diese Gruppe«, sagte Eley, Vertreiber der Ungläubigen, haben Sie von denen schon mal gehört?«
Toumi machte eine bedauernde Geste, antwortete nicht.
Himmel noch mal, dachte Eley.
Soudani ergriff das Wort, sagte schnarrend: » Mutaridu al-kuffar , eine kleine neue AQMI -Gruppe aus dem Katibat von Droukdel, den Sie wohl kennen. Acht, neun Mann stark, sagen unsere Quellen. Alles Ausländer, Libyer, Mauretanier, Marokkaner. Sie sind in Libyen stationiert, von dort nach Algerien eingedrungen, vielleicht auch über Tunesien.«
»Libyen?«, sagte Eley. »Eintausend Kilometer Luftlinie?«
»Ja«, erwiderte Soudani ungerührt.
Auch ihm war Eley ein-, zweimal begegnet, ein kleiner, versteinerter Krieger der alten Garde, Mitglied von le pouvoir , einer der starken Männer des Militärs. Volles, eisgraues Haar, Ende siebzig, unverwüstlich. Im Algerienkrieg hatte Soudani der »Grenzarmee« des FLN in Marokko angehört, die von dem späteren Präsidenten Boumedienne geführt worden und 1962 im Triumphzug in Algier eingezogen war. Auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme von diesem Tag war Soudani neben Boumedienne, damals Generalstabschef der FLN -Truppen, zu erkennen. Drei Jahre später hatte er ihn beim
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