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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Gehen gestützt werden.
    Sekunden später hatten die neun Männer das Gästehaus verlassen.
    Die Hände, dachte Eley fiebrig und klickte sich in die einzelnen Szenen. In der Küche und einmal im Flur fiel Licht auf die Hände mit den Pistolen. Normale Hände, nicht dunkel, nicht hell. Männer, die aus der Wüste stammten oder dort untergetaucht waren, mussten doch andere Hände haben, dunkler, trockener.
    Ganz abgesehen davon, dass er islamistische Terroristen bislang nie mit Schalldämpfern hatte vorgehen sehen.
    Noch etwas, viel wichtiger.
    Er suchte die Szene, schon gegen Ende. Der Moment, bevor Richter ins Wohnzimmer herunterkam. Toni und der Algerier standen in der Mitte des Raumes und redeten zunehmend aufgeregter miteinander. Richter tauchte auf, sah matt und verschlafen aus, dann, von einem Moment auf den anderen, völlig verstört.
    Der Algerier, der in die Kamera sprach.
    Sie hatten etwas geahnt.
    Eley ging zu den einzelnen Sequenzen, notierte sich die eingeblendeten Uhrzeiten und ordnete sie chronologisch.
    Dann war er sich sicher.
    Kaum drei Minuten, nachdem Toni und der Algerier Verdacht geschöpft hatten, waren die Geiselnehmer eingetroffen. Sie mussten in der Nähe gewartet haben.
    Jemand hatte sie informiert.
    Jetzt, schnell, sie wissen Bescheid.
    An den Überwachungsmonitoren hatte ein Spitzel gesessen.
    National security. Top secret. Natürlich.
    Eley rieb sich die Augen mit den Handballen, die Fingernägel kratzten über die Kopfhaut. Einen Moment lang wusste er nicht, wohin mit der Verbitterung. Toumi, Soudani, vielleicht Amel logen, und niemand durfte es erfahren, schon gar nicht die Deutschen.

21
    NAHE REIMS
    Draußen das flache, dämmrige Land und der Nebel, der darauf lastete wie eine Decke aus dunklem Stein. Drinnen hörte Djamel eine Geschichte, wie er sie noch nie gehört hatte.
    Mohameds Familie hatte auf dem Land gelebt, in einem Dorf in Westalgerien, zwei Brüder, drei Schwestern, Eltern, Großeltern. Der Boden war steinig, der Ertrag des winzigen Grundes gering, den die Franzosen sie bewirtschaften ließen, obwohl sie keine Besitzurkunde vorweisen konnten. Sie mussten nicht hungern, doch nur, weil alle von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiteten, die Mehrzahl auf den Feldern oder in den Häusern der Kolonisten.
    Eines Tages tauchten französische Soldaten auf und sagten, der Krieg komme näher. Die FLN -Terroristen würden nun auch Dörfer überfallen und alle töten, die für Franzosen arbeiteten und ihre Kinder in französische Schulen schickten. Wir geben euch Gewehre, sagten sie, für eine Dorfmiliz, dann könnt ihr die Euren verteidigen, wenn die Terroristen angreifen, und ihr bekommt auch noch Sold. Mohamed und seine Brüder willigten ein.
    So fing es an. Später gingen sie für die Franzosen nachts auf Kundschaft oder schlossen sich zum Schein Widerstandszellen an.
    Am Ende, nach den Verträgen von Évian und der Unabhängigkeit 1962, entwaffneten die Franzosen sie, und der FLN und dessen Sympathisanten nahmen Rache. Ein Bruder Mohameds wurde zu Tode gefoltert, dem anderen schnitt man die Zunge heraus und schlug ihm die Hände ab. Den Vater stellte man als Verräter an die Wand, die Mutter starb am Schock. Nur die Schwestern ließ man unversehrt.
    Mohamed selbst konnte fliehen und ging wie neunzigtausend andere Harki-Familien nach Frankreich. Nach einem Jahr in einem ehemaligen Internierungslager aus dem Zweiten Weltkrieg floh er erneut, diesmal nach Reims. Dort fand er Arbeit und wurde Mechaniker.
    »Das ist meine Geschichte«, sagte er, »und sie ist wahr.«
    Er stand auf, brachte Kaffee, starken algerischen Kaffee, dessen Duft die schalen Essensgerüche vertrieb.
    Eine Geschichte der Gewalt, dachte Djamel. Wie so oft, wenn es um Algerien ging.
    Auch er selbst hatte die Gewalt gewählt und war bereit zu töten. Vielleicht war sie notwendig, bis sich ein Land, ein Volk auf seinem ureigenen Weg befand und sich ohne Gewalt weiterentwickeln konnte. Freiheit schien nur durch Gewalt zu verwirklichen zu sein.
    Nachdem sie den Kaffee getrunken hatten, sah Mohamed ihn an und sagte: »Jetzt erzähl du.«
    Djamel warf einen Blick auf Aziz, überrascht und belustigt. Aber er verstand den Harki. Auch Mohamed wollte vertrauen können.
    »Wir müssen weiter«, sagte Aziz.
    »Du kannst es kurz machen.«
    Kurz, dachte Djamel. Wie machte man neun unendlich lange Tage und vier Jahre kurz?
    Er stützte sich auf die Ellbogen, erzählte seine Geschichte, die knapp vierzig Jahre später begann

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