Ein paar Tage Licht
Fahrgäste hatte sie dicht neben ihm gestanden.
Über der Bucht rissen die Wolken auf, die Nacht quoll heraus. Weiter vorn im Laternenlicht Soldaten mit Maschinenpistolen, mehr als üblich, bewachten Parlament und Rathaus. Gegenüber ein Panzer, der Verkehr war ins Stocken geraten.
Eley schloss die Flügeltür seines Gebäudes auf und trat ins feuchtwarme Treppenhaus. Hinter einem verschmierten Fensterchen saß mit krummem Rücken die Concierge, Erinnerung an die französische Zeit wie das Haus, wie so vieles in Algier. Sie telefonierte, der Niqab hielt das Telefon an ihrem Ohr, beide Hände sprangen durch die Luft.
Er nahm das Buch aus dem Briefkasten, Camus’ L’Étranger , eine Hardcoverausgabe, die schon ein paarmal hin- und hergewechselt war zwischen Steve und ihm.
Im Aufzug klappte er es kurz auf, im Buchdeckel lag eine CD .
Langsam wurde er in den dritten Stock transportiert, begleitet von Geräuschen aus einer anderen Epoche.
Die Wohnungstür ein mächtiger Schutzwall aus Stahl, der Anfang der neunziger Jahre angebracht worden war und den damaligen Bewohnern vielleicht das Leben gerettet hatte. Die Islamisten waren nachts in die Häuser gestürmt, hatten »Feinde« auf die Straßen gezerrt, um sie dort zu erschießen. Islamisten, Scheinislamisten.
Er hängte die Jacke an die Garderobe, streifte die Schuhe ab, hielt inne.
Salut, chéri, bonsoir, je suis dans la cuisine.
Er schaltete das Licht an.
Barfuß saß er an dem langen Holztisch im Esszimmer, den Laptop vor sich, im Laufwerk arbeitete die CD aus der Innenseite des Buchdeckels.
Zwei Dateien, »Airport« und »Guesthouse«.
Er begann mit »Airport«. Zweieinhalb Minuten ohne Ton, Flughafen Constantine, Innenkamera, Außenkamera. Richter in der Ankunftshalle, wurde von Sadek Madjer, dem Chauffeur, und zwei Polizisten empfangen, im Konvoi fuhren sie davon.
Nichts Auffälliges, bis auf Madjer. Kein Libyer, Mauretanier, Marokkaner, darauf hätte Eley gewettet, sondern Nordalgerier, eher Stadt als Land, eher Mittelschicht als Unterschicht. Klein und schmal, Anzug, Krawatte, Schnurrbart, volles schwarzes Haar, um die fünfzig. Ein Mann mit Humor, hatte ein Schild mit der Aufschrift MONSIEUR ATLAS mitgebracht und lächelte oft. Er wirkte sympathisch, auf eine unprätentiöse Art weltgewandt. Eley hätte ihn sich als Lehrer oder Universitätsdozenten vorstellen können, ganz sicher nicht in einem Wüstenversteck neben fanatischen Schlächtern wie Abdelmalek Droukdel oder Mokhtar Belmokhtar.
Das Funktelefon klingelte, die Nummer, die er eine Stunde zuvor gewählt hatte. Lyon Rigal, raue Stimme, redete langsam. Er bot ein Treffen Ende der Woche an.
»Morgen, wenn’s geht«, sagte Eley.
»So wichtig?«
»So wichtig.«
»Sie kennen das ›Tantonville‹ beim Nationaltheater?«
»Natürlich.«
»Morgen, sechzehn Uhr. Von wem haben Sie meinen Namen gleich noch mal?«
»Oberst zu Geuyn.«
»Sagt mir nichts.«
»Darfur vor ein paar Jahren, Sie haben miteinander getrunken.«
Rigal lachte heiser, verabschiedete sich.
Die zweite Datei, »Guesthouse«. Sieben Minuten vierzig, aus unerfindlichen Gründen ebenfalls ohne Ton. Verschiedene Kameras, irgendjemand – die DDSE , Steve – hatte sich die Mühe gemacht, die relevanten Szenen aneinanderzukopieren.
Eine Entführung, wie sie kaum perfekter ablaufen konnte. Sechs Mann, schallgedämpfte Pistolen, die Gesichter verdeckt von Turbanschals. Dazu Sadek Madjer im Anzug, nicht vermummt. Sie kamen in zwei Vans, kletterten über die Hofmauer, verschwanden zu einem Seiteneingang, dann waren sie im Haus. Jeder wusste, wohin, kannte das Innere des Gebäudes. Zwei der Vermummten folgten Madjer in die Küche, gemeinsam fesselten und knebelten sie den Koch und das Serviermädchen. Keine Brutalität, nur Effizienz. Im hellen, künstlichen Licht der Küche waren die beiden Bewaffneten deutlicher zu sehen. Sie waren kräftig, nicht allzu groß. Militärische Ausbildung, geübt, aber nicht, wie Eliteeinheiten geübt waren, die seit Jahren im Training standen und Einsätze dieser Art gewöhnt waren. Man sah ihnen, fand Eley, einen Rest Nervosität an.
Das Wohnzimmer. Toni und der Algerier sprachen miteinander. Auf der Treppe erschien Richter. Richter mit Toni am Esstisch, Richter, der zusammensackte, Toni riss ihn hoch.
Der Algerier starb.
Toni und Richter, die Hände über dem Kopf, auch sie wurden gefesselt und geknebelt, bekamen Kapuzen über den Kopf gezogen. Richter schien der Ohnmacht nahe, musste beim
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