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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Couscous von einem Aluteller, mit dem Löffel, eine Gabel bekam er nicht. Er hatte die Kerze zur Seite geschoben, hielt die Augen halb geschlossen. Die Flamme blendete ihn immer stärker, sein Körper sehnte sich nach vollkommener Dunkelheit.
    Am Fuß der Leiter hockten die beiden Aufpasser. Er spürte, dass sie ihn beobachteten.
    Er hatte die Mahlzeiten gezählt, um einen Anhaltspunkt zu haben, wie viel Zeit verstrich. Couscous süß, Suppe, Couscous salzig, wieder von vorn. Also gaben sie ihm drei Mahlzeiten täglich.
    Dreimal süß, Suppe, salzig. Drei Tage. Dazu der Abend der Entführung. Um die zweiundsiebzig Stunden. Er tastete den Boden nach einem Steinchen ab, schob es in die Hosentasche zu den beiden anderen. Drei Steinchen, drei Tage.
    Drei pubertierende Frauen.
    »Trois«, sagte er und lächelte und hielt drei Finger hoch. »Trois femmes, trois jours.«
    Die Wärter sagten nichts.
    Erst drei, dachte er. Er hätte schwören können, dass er sechsmal, siebenmal, achtmal süß, Suppe, salzig bekommen hatte. Vielleicht hatte er ein Steinchen zu wenig gesammelt? Zwei?
    Letztlich war es gleichgültig. Es war erst der Anfang.
    Seine Frau, seine Töchter …
    Er dachte selten an sie. Wenn doch einmal Gedanken kamen, waren sie unangenehm. Er konnte es ihnen seit Langem nicht mehr recht machen. Sie verachteten ihn, kritisierten ihn, mieden ihn.
    Er schob den Teller zur Seite.
    »Toilette?«
    »Oui«, erwiderte er.
    Die beiden Männer traten zu ihm, stülpten ihm die Kapuze über, halfen ihm hoch. Aufstehen und laufen fiel ihm immer schwerer. Der Körper zog sich zurück. Wollte aufgeben. Mit jedem neuen Steinchen nahm er sich vor zu trainieren. Liegestütze, Situps, wie er es aus Filmen kannte. Aber dann fehlten ihm die Energie und die Hoffnung.
    An der Leiter ergriff einer der Wärter sein Handgelenk und ging voraus. Der andere schob von hinten. Es dauerte eine Weile, bis er es nach oben geschafft hatte.
    Einmal hatte er um Hilfe gerufen, als er zur Toilette gebracht worden war. Er hatte sich zu Boden fallen gelassen und »Au secours!« und »Help!« geschrien. Natürlich hatte es nichts gebracht.
    Erstaunlich war nur, dass die Wärter nichts unternommen hatten. Sie hatten ihn rufen lassen, bis er erschöpft verstummt war. Niemand in der Nähe, der ihn hätte hören können. Hilfe wird nicht kommen, hatten sie gesagt und ihn hochgezogen und zur Toilette gebracht.
    Ein kurzer Weg von seinem Verlies. Sie folgten einem schmalen, kühlen Gang, bogen einmal rechts ab, einmal links. Eine quietschende Tür.
    Er hockte da, wusste nicht, ob sie zusahen. Auch das war ihm mittlerweile egal.
    Auf dem Rückweg war etwas anders. Er glaubte die Anwesenheit eines weiteren Menschen zu spüren. Doch die Wärter und der dritte sprachen nicht.
    Dann hörte er einen unterdrückten Schrei hinter sich. Instinktiv ließ er sich fallen. Jemand sprang über ihn, eine Fußspitze berührte seine Seite. Vor ihm erklang ein dumpfer Ruf, Körper prallten auf dem Boden auf, ein Röcheln, das nicht enden wollte. Durch die Kapuze drang der Geruch von Blut und Exkrementen.
    Jemand packte ihn an den Schultern.
    »Herr Richter!«
    Toni?
    Die Kapuze wurde ihm vom Kopf gerissen. Der Gang lag im Halbdunkel, trotzdem schlossen sich die Augen automatisch. Nach einem Moment konnte er sie einen Spalt öffnen.
    Toni, der angespannt lächelte.
    Sie hielten sich an den Armen, starrten sich an. Entsetzt begriff Richter, dass er vermutlich noch viel schlimmer aussah als Toni, fahl, verzweifelt, verdreckt, mehr Gespenst als Mensch.
    »Wird Zeit, dass wir abhauen, finden Sie nicht?«
    Richter nickte. Ihm war schwindlig. Zu viel Licht, zu viele Gefühle. »Ich dachte, die hätten Sie erschossen!«
    »Haben sie nicht.«
    »Ich habe Schüsse gehört …«
    »Vielleicht haben Sie geträumt.«
    Sein Blick fiel auf Tonis Wange. Da war Blut, auch am Hals.
    Die Hände, troffen von Blut.
    Er wandte sich den beiden Toten zu. Toni hatte dem ersten die Kehle aufgeschlitzt, dem zweiten ein Messer ins Herz gerammt.
    »Sie müssen sich zusammenreißen, Herr Richter.«
    Er brachte ein Nicken zustande, schluckte die Übelkeit hinunter.
    Toni kniete sich neben den vorderen Toten, zog den Turbanschal von dessen Gesicht. Dann tat er dasselbe bei dem anderen. »Sehen Sie.«
    Richter bückte sich widerstrebend. Beide um die dreißig, ganz normale algerische Gesichter. Normale tote Gesichter.
    Er wusste nicht, worauf Toni hinauswollte.
    »Keine Islamisten. Die gehören nicht zu AQMI

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