Ein paar Tage Licht
guten alten Zeiten in der Stadt Lyon und später dem Dorf Lyon im verlorenen maghrebinischen Departement, ich bin die Erinnerung daran, ich bin die gute alte Zeit, ein sepiabrauner, ferner Klang der Freude.« Er hob das Glas. »Auf gebügelte Unterhemden.«
Eley lachte lautlos, stieß mit ihm an.
Mit Zehntausenden anderen Pieds-noirs waren die Rigals im Sommer 1962 nach Frankreich geflohen. Fast eine Million Exilanten kamen übers Mittelmeer, hatten kaum mehr bei sich als einen Koffer und heiße Wut – und Sympathien für die OAS .
Die meisten Algerienfranzosen hatten die Unabhängigkeit abgelehnt, viele hatten sich der terroristischen Organisation de l’armée secrète angeschlossen, die Ende 1960 von französischen Offizieren und Generälen in Algier gegründet worden war. Tausende waren ihren Anschlägen zum Opfer gefallen, vor allem Muslime. Ein paar entfernte Rigals waren Mitglieder der OAS gewesen, ein Cousin hatte in Algier muslimische Staatsangestellte erschossen, Roger, Schande seiner Asche. Auch beim Putschversuch der französischen Generäle in Algier war er dabei gewesen und später, im August 1962, beim Attentat auf Charles de Gaulle bei Paris, als elf OAS -Fanatiker auf dessen Wagen gefeuert hatten.
Rigal hob das Glas. »Auf die Schande.«
Eley begann zu verstehen. Die Waffen, dieses Loch.
»Die Rigals und der Krieg«, sagte er.
»So ist es.«
»Und hier tust du Buße für deine Familie.«
»Wenn du es so sehen willst.«
Eines blieb noch zu sagen.
»Katharina. Was war mit ihr?«
»Katharina …«, sagte Rigal.
Eley beugte sich vor, hielt dem betrunkenen, düsteren Blick stand. »Sie war hier, oder?«
»Oft. Sie kam nachts, deine Botschafterin, in einer schwarzen Burka, Spazierstock in der Hand, eine alte, gebeugte Muslima. Dann zog sie die Burka aus, deckte das Schießzeug damit zu, stand da, so stark, lebendig, so …« Er brach ab, räusperte sich.
Eley zog eine Zigarette aus der Packung, war ein bisschen erschrocken. Auch Amel verbarg sich unter Kopftüchern, Schleiern, Gewändern, wenn sie nachts zu ihm kam. Aber sie kam nicht oft, es war zu gefährlich. »Wie lange lief das zwischen euch?«
»Was geht’s dich an, mon ami? «
»Nichts. Möchtest du, dass ich sie von dir grüße?«
»Nein.«
Eley erhob sich, stützte sich für einen Moment auf den Tisch, bis der Schwindel verflogen war.
»Bring sie nicht in Verlegenheit, Eley, hörst du?«
Er schüttelte vorsichtig den Kopf, ging zur Tür, fand den Griff im Dämmerlicht nicht gleich. »Du brauchst mehr Helligkeit hier drin«, murmelte er.
»Draußen ist genug Helligkeit«, sagte Rigal. »Pass auf, draußen. Sie mögen keine Betrunkenen. Ich glaube, sie verachten sie.«
»Ich passe auf. Spiele nüchtern.« Eley warf einen letzten Blick auf den Haufen aus kantigem, schlankem Stahl. Er war froh, dass er die Waffen loswurde, dass sie gleich aus seinem Körper weichen würden wie bleierne Müdigkeit nach einer durchschlafenen Nacht. »Sie lebt jetzt allein, Lyon«, sagte er.
Draußen empfingen ihn Katzenaugen, der kühle Geruch des Meeres, das Flüstern der Kasbah. Mit der Zigarettenhand strich er über die azurblauen Kacheln, fühlte sich mit irgendetwas verbunden, auch wenn er nicht wusste, womit. Dann übereignete er sich der Schwerkraft, die ihn durch das Gassengewirr hinunterziehen würde zum Hafen, dort würde man weitersehen, irgendeine andere Kraft würde ihn schon nach Hause schieben.
29
NAHE METZ
Djamel erwachte, fuhr hoch. Im Schein des Mondes sah er, dass die Zimmertür geöffnet wurde.
Kein Licht im Flur.
»Djamel?«
Hamza trat ein, in dunklem T-Shirt, Shorts. Bedeutete Djamel, ihm zum Fenster zu folgen. »Jemand ist in eurem Wagen.«
Er sprang aus dem Bett, schlüpfte in die Unterhose.
Die drei Autos auf dem Vorplatz, Mohameds Citroën direkt unter ihnen. Auf den ersten Blick war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Dann bewegte sich hinter der Windschutzscheibe eine Hand. Ein Körper, zur Seite geneigt.
Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen.
Er zog Hose und Hemd an, eilte zur Tür.
»Warte!«, flüsterte Hamza.
Djamel deutete nach nebenan.
Als er die Tür zum Gästezimmer öffnete, hielt er den Atem an. Doch Aziz lag im Bett und schlief.
Verzeih, dachte er erleichtert und beschämt.
So leise wie möglich stiegen sie die Treppe hinunter. Hamza berührte ihn am Arm, eilte in die Küche. Mit zwei kleinen Gemüsemessern kam er zurück. »Keine Schusswaffen im Haus, wegen dem Jungen«, wisperte
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