Ein paar Tage Licht
justieren. »Hübsche Geschichte, Darfur und die Chinesen«, sagte er laut.
Rigal lachte. Die Spülung rauschte, der Wasserhahn. Er kam zurück, barfuß, hatte die Sandalen auf halbem Weg liegen gelassen. »Eine meiner Lieblingsgeschichten. In meiner Branche strickt man pausenlos an der eigenen Legende, man könnte sonst nicht weitermachen. Ein neuer Tag im Leben des selbstlosen Helden, ohne den es noch mehr verkrüppelte Kinder und tote Väter gäbe. Jeden Morgen sehe ich die empörten Gesichter der Chinesen vor mir, die Zufriedenheit reicht bis zum Abend, dann fange ich an zu trinken.«
»Ich dachte, du hast ihretwegen den Job im Panel verloren.«
»Egal, es gibt genug zu tun. Andere NGO s, andere Länder. Nach Darfur war ich in Elfenbeinküste, in Kambodscha, in … vergessen.«
»Um Munition und Waffen zu suchen?«
»Um den Dreck einzusammeln, den die Amerikaner, die Russen, die Chinesen, die Deutschen, die Franzosen herstellen und über die ganze Welt verbreiten, bis die UN beschließen, dass sie diesen Dreck nicht mehr über die ganze Welt verbreiten dürfen, zum Beispiel für eine Weile nicht mehr in Darfur oder Elfenbeinküste oder Libyen, weil es plötzlich Gerüchte gibt, dass dort Menschen den Dreck, vulgo: Waffen und Munition benutzen, um andere Menschen umzubringen. Also schicken die UN , sprich: die Amerikaner, die Russen, die Deutschen und so weiter Verrückte wie mich nach Darfur oder Elfenbeinküste oder Libyen, um diese Gerüchte zu überprüfen und den Menschen die Waffen wegzunehmen, bevor sie damit noch mehr andere Menschen umbringen oder bevor die Waffen ins nächste Krisengebiet weiterwandern, wie es so ihre Art ist, sie sind wie Sand – mit dem nächsten Wüstensturm wandern sie ins nächste Land, das Krieg führen will, und so geht das dreißig, vierzig Jahre lang, bis sie auseinanderfallen oder explodieren oder unbrauchbar gemacht werden. Die deutschen Waffen halten mit am längsten, die Qualität eures Drecks ist beeindruckend. Wer mit Heckler & Koch oder Meininger Rau schießt, der schießt besonders effizient und lange. Noch Wein?«
»Ja.«
Rigal goss nach, rote Spritzer landeten auf dem weißen Plastik, er fuhr mit der Hand darüber.
Eley trank, rauchte, trank, wurde den Gedanken an die Waffen nicht los. Daran, dass er sie spürte, links hinter sich drüben im Eck, dass er sie lauern spürte, als wäre der Haufen eine Art künstlicher Organismus, der in sich zusammengesunken auf den richtigen Moment wartete, um sich zu erheben, sich ihm zu nähern. Sein Körper schien mit dem Stahl zu korrespondieren, die linke Seite kam ihm schwer und unbeweglich vor, im Nacken meinte er Kühle wahrzunehmen.
Vielleicht lag es auch nur am Wein.
Sein Blick fiel auf den Perlenvorhang, der ein hübsches Muster hatte, leuchtend blaue Wellen verliefen von einer Seite zur anderen. Der einzige Gegenstand in der Wohnung, der ein bisschen Fröhlichkeit und Natürlichkeit ausstrahlte.
Plötzlich wusste er Bescheid.
Sie war hier gewesen. Der Vorhang ein Versuch, dieses Loch ein kleines bisschen erträglicher zu gestalten.
Lyon Rigal und Katharina Prinz.
»Ich bin der Sohn einer stolzen Kolonistenfamilie«, sagte Rigal. Seine Arme lagen auf dem Tisch, beide Hände am Glas. Die zweite Flasche war zur Hälfte geleert, seine Stimme klang nach Bronchitis, nach Trübsinn, langsam abklingender Wut.
Seine Urgroßeltern waren in den zwanziger Jahren aus Lyon nach Algerien gekommen, hatten südlich von Oran ein Stück Land erhalten und ein großes Haus aus Holz bauen lassen. Sie hatten jene Araber zur Bewirtschaftung von Haus und Hof angestellt, deren Vorfahren das Stück Land urbar gemacht und jahrhundertelang bearbeitet und für ihr Eigentum gehalten hatten – sie hatten eine falsche Vorstellung von Eigentum gehabt.
»Auf einem Foto steht mein Urgroßvater auf der Veranda seines großen Hauses, Gewehr unter dem Arm, Reitstiefel an den Füßen, einer der bleichen Herren Algeriens, er trägt lange Unterhosen und ein gebügeltes Unterhemd, auf der Nase eine Sonnenbrille, die algerische Sonne hat ihn fast blind gemacht. Ein lächerlicher Colon , die Araber haben sich hinter seinem Rücken totgelacht. Er hatte noch ein paar Brüder in Lyon, die hat er nachkommen lassen, und auch die Brüder bekamen Land und bauten Häuser, und so entstand ein Dorf, und sie tauften es auf den Namen der alten Heimat. Nach der Unabhängigkeit jagte die neue Heimat sie fort, die alte wollte sie nicht wirklich. Ihr Trost waren die
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