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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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hatten, war für kurze Zeit zurückgekehrt, auch die Sanftmut im Umgang mit dem anderen.
    Auf dem Rückweg in die Entfremdung holten sie den mittlerweile luftgetrockneten Flokati ab, ein weißes Ungetüm, das den Wagenfond bis unters Dach füllte. Sie legten ihn ins Wohnzimmer, tägliche Erinnerung an das Glück. Ihr damals zehnjähriger Sohn hatte eigene Vorstellungen von Glück, er stellte fingergroße Zinnsoldaten in den wogenden Teppich, Schiffe mit Kanonen, Männer, die die schneeverwehte Arktis erobern und kartografieren wollten. Der eine oder andere Held ging im Flor verschollen und tauchte erst in der Reinigung oder am bloßen Fuß des Vaters hängend wieder auf, in dessen Sohle er ein Bajonett gebohrt hatte. Bald war die Arktis von Blut gesprenkelt. Der Flokati kam ins Büro.
    Ein griechischer Teppich, ein französischer Schal, dachte Wegner, Nähe und Entfremdung, die beiden Pole ihrer Ehe.
    Er setzte sich auf, von plötzlicher Panik ergriffen.
    Neunzehn Jahre, und wenn er abends heimkam kaum ein Wort, Berührungen gleich gar nicht. Ohne es zu merken, hatten sie die gemeinsame Welt verlassen, lebten längst jeder für sich in unterschiedlichen Welten. Da war es beinahe egal, wie viele Zahnbürsten im Becher standen.

38
    AUF DER AUTOBAHN NACH TIZI OUZOU
    Ein Abend in der Bar des Sheraton draußen beim Club des Pins, zwei betrunkene Deutsche, hatten sich Geschichten aus dem Polizisten- und Soldatenleben erzählt, anfangs noch ein Wettkampf um den Heldenlorbeer, breites Grinsen, die Stimmen heiser vor Testosteron. Dann waren die anderen, die elementaren Geschichten gekommen, die von Schmerz, Versagen, Angst, Verlust. Am Ende der Nacht hatten sie geschwiegen, die Glieder schwer und zittrig vom Alkohol, und hatten nicht gewusst, was sie mit den vergangenen Stunden anfangen sollten. Etwas schien zu fehlen – Trost, ein Hoffnungsschimmer, ein Segen. Schließlich stand Toni wortlos auf und wankte ins Morgengrauen hinaus, und Eley folgte ihm. Zu Fuß kehrten sie nach Algier zurück, knapp fünfundzwanzig Kilometer, immer an der Küste entlang, der aufgehenden Sonne entgegen, während um sie herum der algerische Tag begann. Die Sprechgesänge der Muezzins, Wochenmärkte in den Dörfern, Schulkinder, der Geruch nach frisch gebackenem Brot, Fisch und Feigen, nach Abgasen und Müll. In einem Hafenort tranken sie Kaffee, leerten gierig kleine Wasserflaschen. Sie gingen weiter, die Hügel hinauf, zum Meer hinunter, schweißgebadet, zwei lächerliche, zerschlagene Männer in einer Welt, zu der sie nicht gehörten.
    Als sie Alger Centre nach sechs Stunden Fußmarsch erreichten, war etwas anders. Was sie erlebt und sich in der vergangenen Nacht erzählt hatten, hatte in diesen Stunden der Quälerei auf unerklärliche Weise einen Sinn bekommen. Katharsis in Schweiß und Dehydrierung.
    Musste mal raus, hatte Toni gesagt.
    Jetzt ist wieder Platz, hatte Eley erwidert.
    Ein Hupkonzert riss ihn aus der Erinnerung. Die Autos vor ihm bremsten, eine Baustelle, zäh ging es weiter. Im Norden matt das Meer, im Südosten die Erhebungen der Kabylei, noch sechzig, siebzig Kilometer bis Tizi Ouzou.
    Er kurbelte das Fenster herunter, warf die Zigarette hinaus, ließ die Hand verbittert auf das alte Türblech klatschen.
    Murmelte: »Au revoir, Toni.«
    Kurz darauf eine barrage , ein Dutzend Polizisten mit Maschinenpistolen, Detektoren. Häufig kamen an den kabylischen Kontrollposten Soldaten und ein Panzer dazu, die Region eine einzige Hochsicherheitszone. Zahlreiche AQM -Dschihadisten verbargen sich im Schutz der schwer zugänglichen Berge, Seriate von fünf bis zehn Mann, insgesamt etwa vierhundertfünfzig Kämpfer. Immer wieder schlugen sie zu, legten Bombenfallen, errichteten falsche Straßensperren, erschossen Sicherheitskräfte. Ein paar Kilometer weiter, in Issers, hatte ein Selbstmordattentäter vor vier Jahren eine Polizeischule überfallen und mehr als vierzig Polizisten und Zivilisten getötet.
    August 2008, ein blutiger Monat für die Kabylei.
    Dreizehn Tote in Skikda im Osten, wenige Tage später elf in Bouira im Süden. Fünfundzwanzig Verletzte in Tizi Ouzou, sieben Tote in Boumerdès an der Küste. Eley und Katharina Prinz, beide damals erst wenige Wochen in Algerien, waren nach Boumerdès, Issers und Bouira gefahren, hatten sich von den Behörden informieren lassen. Die aufreibende Anfangszeit. Im Juli der Staatsbesuch Angela Merkels, im August die Attentate.
    Er reihte sich in die rechte Spur ein. Zehn, elf Autos vor ihm

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