Ein paar Tage Licht
hatte die Narbe gesehen, bevor er ihren Blick erwidert hatte. Das Oszillieren zwischen Unbeugsamkeit und Verunsicherung.
Ihre Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück. »Was für Waffen, Ralf?«
»Was sie brauchen, nehme ich an.«
»Brauchen? Wofür? Für Anschläge?«
Er spürte ihre Angst, hörte sie. »Ich weiß es nicht. Es gibt Gerüchte über eine neue Bewegung. Eine demokratische Bewegung, vielleicht eine Partei.«
»Und Soudani weiß das?«
»Ja.«
»Deshalb die deutschen Gewehre und Panzerbüchsen?«
»Ich kann es nicht beweisen, aber … ja.«
Toumi wandte sich ihnen zu, erhob sich.
»Warte, Ralf.« Sie blieb stehen, legte die Hand auf seinen Arm, ließ sie dort. »Sie haben Toni erschossen.«
Eley schwieg, fühlte sich mit einem Schlag kraftlos, ausgelaugt.
Die DDSE habe am Morgen eine E-Mail bekommen, berichtete Amel, der Inhalt, wie man es von Dschihadisten kenne: Mutaridu al-kuffar machten Ernst, den einen Christen hätten sie getötet, der andere werde folgen, falls die Forderungen nicht erfüllt würden. Die Leiche des »Christensöldners« liege östlich von Ouargla an der N3, die Geier und Hyänen labten sich an ihr. »Toumi hat einen Hubschrauber geschickt, sie bringen Toni nach Algier.«
»Ouargla«, sagte Eley irritiert. Eine Wüstenstadt, schon auf halbem Weg nach Libyen, gut sechshundert Kilometer südlich von Constantine, achthundert von Tizi Ouzou.
Nichts passte zusammen.
Er sah zu Toumi hinüber, der wartete, die Hände in den Jacketttaschen, die Miene betrübt und ernst, immer das zur Situation passende Gesicht.
Sie gingen weiter, Amel hatte die Hand zurückgezogen, der Abstand war wiederhergestellt.
»Sag ihm nichts«, bat Eley. »In Bezug auf Stewens.«
Soudani gegen Toumi, dachte er, und umgekehrt. Vielleicht auch nicht. Vielleicht war alles ganz anders. Madjers Bewegung hatte das Verteidigungsministerium infiltriert – warum nicht auch den Geheimdienst?
37
BERLIN
Reinhold Wegner lag in seinem Büro hoch über dem Potsdamer Platz auf dem griechischen Flokati, die Hände unter dem Kopf, die Beine ausgestreckt, ließ die Gedanken strömen und die Bilder rasen. Ein Landesbischof mit Tränensäcken und Bulldogenbacken, puterrot im Gesicht, moralische Empörung im Blick, winselte, gackerte, die sollten ihn statt nach Waffen lieber nach den Knaben aus dem Priesterseminar fragen, nach schweißtreibenden Minuten im geblähten Talar … Diesen Linken lassen sie in ein Fernsehstudio?, er gehört in den Knast, ein IM , wie er im Buche steht, dreister Lügner, das karierte Sakko sagt alles, jemand müsste sich mal die Mühe machen, die Stasi-Akten zu durchwühlen … Katharina Prinz … Glaubt man, ihr einen Schritt voraus zu sein, geht sie einfach seitwärts weiter …
Zu allem Überdruss wurde Altniederndorf nervös. Reinhold, kannst du das stoppen … Reinhold, ist der Mann im algerischen Beschaffungsamt ein Risiko … Reinhold, hast du die Schotten dicht gemacht … Ja, die Schotten waren dicht, niemand würde reden. Wiebke Ebert nicht, die ihm vor Monaten das Angebot von Ulmer & Tann zugespielt hatte, Phil ohnehin nicht. Von dem Mann im algerischen Beschaffungsamt kannte er nicht einmal den Namen.
Er seufzte verärgert.
Immer wenn er das Gefühl hatte, die Kontrolle über die Ereignisse zu verlieren, zog er die Schuhe aus und legte sich auf den Flokati in der Mitte des Raums, schwebte weich gebettet hoch über allem Unerfreulichen.
Dreitausend Gramm Wolle pro Quadratmeter, wassergerieben in den Bergen um Trikala. Er hatte zugesehen, wie der Teppich im Strudel des Wasserbottichs entstand. Für ein paar anstrengende Minuten hatte er sogar mitgearbeitet, hatte gemeinsam mit seiner Frau das Gewebe mithilfe einer langen Stange vom Zentrum des Bottichs ferngehalten, wo es von der Wasserkraft zerrissen worden wäre. Anschließend hatten sie die feuchten Schuhe zum Trocknen in die Sonne gestellt und waren barfuß zu einer nahen Taverne gegangen, immer in Begleitung eines knurrigen Majors der griechischen Marine, der sie eine Sommerwoche lang durchs Land geführt hatte.
Glückliche Tage … So gelassen und innig, als hätten sie beide elf Jahre lang darauf gewartet, sich für ein paar heiße Tage und milde Nächte wieder jung fühlen zu können. Seine Frau ließ die Haarspangen im Kulturbeutel, er das Rasierzeug. Sie parkten den Oberst in Hafencafés und schlenderten in Espadrilles durch die duftenden Dörfer, ohne Ziel, ohne Uhrzeit. Alles, was sie früher aneinander geliebt
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