Ein paar Tage Licht
sagt, wo steckt er, ich sage, Herr Botschafter, er hat viel um die Ohren, er sagt, wo steckt er, ich sage, Herr Botschafter, das weiß ich nicht, er sagt, wer weiß es, ich sage, Herr Botschafter, wohl zurzeit niemand.
Ralf? Ralf!
Ralf, der Botschafter ist außer sich, er sagt, die Algerier sagen, du begehst Straftaten, er sagt, die sagen, du bist in ein Hotelzimmer eingebrochen, und wir sollen dich aus Algier abziehen, ruf ihn an, damit er sie beruhigt, hast du das getan, bist du in ein Hotelzimmer eingebrochen, was um Himmels willen ist in dich gefahren?
Die Wahrheit, Harry, dachte Eley. Die Wahrheit ist in mich gefahren.
Das Display leuchtete auf. Der Botschafter.
Nur Amel rief nicht an.
39
BERLIN
Das Wesentliche vergessen …
Reinhold Wegner saß mit seiner Frau vor einem guten Dutzend Aluschalen am Küchentisch. Er hatte auf der Heimfahrt bei einem griechischen Lokal gehalten, gierig auf alles gedeutet, was ihn an die duftenden Dörfer erinnert hatte – Gyros, Souvláki, Choriatiki, Dolmades, Tsatsiki, Pita-Brot, dazu ein harziger Rotwein und für den Nachtisch … wie hieß das noch, Valva.
Halva.
Ja, ja, Halva.
Das Wasser war ihm im Mund zusammengelaufen. Ein kleines Hotel über einem Olivenhain, ein nacktes Ehepaar, ein süßer Nachmittag im Bett mit kräftigem Kaffee und Halva.
Calamari! Habe ich schon Calamari bestellt?
Nein.
Und Moussaka, noch eine Portion Moussaka.
Daheim hatte er an der Tür geklingelt und ungeduldig gewartet, bis seine Frau endlich öffnete. Er hatte die Arme gehoben, die weißen Tüten schwingen lassen.
Griechisch zum Mittagessen. Sogar Calamari habe ich.
Ach, wie schön, Reinhold. Ich leiste dir gern Gesellschaft.
Er hatte vergessen, dass sie seit Montag auf Saft war. Wie in jeder letzten Oktoberwoche seit fünfzehn Jahren.
»Es sieht wirklich sehr gut aus«, sagte sie.
Er nickte.
»Und du hast den Schal mitgebracht. Wie lieb von dir.«
Er nickte erneut, vielleicht auch immer noch. Vielleicht, dachte er, hatte er seit dem Gespräch mit Ernst Friedrich Riehle über der Spree am gestrigen Morgen nicht aufgehört zu nicken. Nickte seit Wochen. Seit Jahren. Seit dem Tag, an dem seine Frau beschlossen hatte, in der letzten Oktoberwoche nur noch Saft zu sich zu nehmen.
Sein Blick glitt von dem Souvlákispieß in seiner Hand zu dem Hermès-Schal. Die Putzkolonne hatte ihn am Swimmingpool gefunden und an der Garderobe deponiert. Nun hing er ein wenig verknittert am anderen Ende des Tisches über einer Stuhllehne, als wäre er ein stummer dritter Anwesender. Die schmerzhafte Erinnerung an die verlorene gemeinsame Welt.
Seine Frau sagte: »Die Firma war im Fernsehen.« Ihre Hand bewegte sich über den Tisch, rubbelte unsichtbare Flecken fort.
Überrascht sah er sie an.
»Im Morgenmagazin.«
Der Landesbischof. »Die üblichen Verleumdungen«, sagte er.
»Ja.«
Die Flecken schienen hartnäckig zu sein.
»Entschuldige mich.« Sie stand auf und ging in den Vorraum.
Er hörte, wie sie die Toilettentür verschloss, den Klodeckel hob und sich übergab. Kein Wunder, dachte er. All die Gerüche, während man selbst nur Saft zu sich nahm. Er legte den Spieß auf den Teller und starrte auf seine gespreizten, fetttriefenden Finger. Es ging nicht ums Essen. Eher um alles andere.
Eine Weile war aus der Toilette nichts zu hören. Dann lief das Wasser, und sie räusperte sich. Sie kam zurück und setzte sich und sagte lächelnd: »Der Schal ist wirklich schön.«
Wieder fiel sein Blick auf die Stuhllehne gegenüber. Da saß nicht die Welt von damals, dachte er, da saß die Welt von heute.
Telefonate, die erledigt werden mussten, bevor er zum Flughafen fuhr.
Seine Frau hatte sich hingelegt. Ein halbes Stündchen, dann packe ich den Koffer für dich. Schützenverein, Gaststätte, nicht wahr?
Er hatte genickt. Und dabei gedacht: Ich weiß, wir lieben uns nicht mehr so wie früher, aber ich brauche dich, ich brauche dich in dieser Wohnung, dass du immer hier bist und jeden Tag hier ein Mittagsschläfchen machst und jedes Jahr für eine Woche Ende Oktober hier nur Saft zu dir nimmst … dass du immer den Koffer für mich packst … dass du für all die Generäle und Minister mit den unaussprechlichen Namen kochst und ihnen mit deiner Freundlichkeit für ein paar Stunden die Sorgen nimmst … dass du unseren zwischen Jugend und Männlichkeit erstarrten Sohn bittest, zu meinen Geburtstagsempfängen zu kommen … Ich brauche das alles … Lass uns wieder Urlaub in Griechenland
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