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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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suchte den Blick eines Uniformierten, zeigte auf den Jungen. Hektisch sagte er: »Puis-je? Mon fils!«
    »Oui, oui!«
    Rufe erklangen, während er sich zwischen den Streifenwagen hindurchzwängte, auf dem Platz brach verspätet Hektik aus. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Madjer, der hinter der Fensterscheibe stand. Eine Hupe erklang, ungeduldig, aggressiv, immer wieder. In der Gasse gegenüber näherte sich eine dunkle Limousine. Langsam passierte sie die Absperrung, die Dutzenden Polizisten, bog auf den Platz ein. Unmittelbar vor dem Café hielt sie. Zwei Männer stiegen aus, Soldaten. Den einen kannte Eley nicht, der andere war Soudani. Ein Polizeioffizier trat zu ihnen. Soudani sprach, wandte sich halb um, bewegte die Hand über den Platz.
    Zeit zu verschwinden, dachte Eley.
    Madjer musste dasselbe gedacht haben – er war fort.
    Eley ging die wenigen Schritte zur Ecke, zwang sich zu warten.
    Sekunden später trat Madjer aus dem nächsten Hauseingang und wandte sich in die entgegengesetzte Richtung. An einer Kreuzung bog er nach rechts ab.
    Eley kehrte zu dem Imbiss zurück, parallel zu Madjer, theoretisch zumindest, fünfzig Meter südlich von ihm. Er stieg in den Wagen, verstaute die Pistole unter dem Sitz, ließ die Scheibe herunter. In aller Ruhe parkte er aus, fuhr ein paar Meter rückwärts zur Kreuzung.
    Diplomatenpass und Diplomatenkarte in der Hand, rollte er auf eine Gruppe Polizisten zu.
    Sie ließen ihn passieren.
    Etwa siebzig Meter weiter überquerte Madjer die Straße und setzte sich in ein in zweiter Reihe wartendes Auto, einen weißen R5. Während sich ein Konvoi weiterer Streifenwagen näherte, fuhren sie los.
    Und Eley folgte ihnen.

42
    PESSIN
    Ein einfacher Grabstein auf einem Dorffriedhof irgendwo im Tellatlas, ein fremder Imam, zwei Klageweiber aus dem Dorf – und er selbst. Benmedi wusste noch, dass er lange, sehr lange an Dihias Grab gestanden hatte. Der Imam und die Frauen waren gegangen, er war geblieben. Noch heute meinte er den kühlen Nachmittagswind zu spüren, sah die Dämmerung über die Hügel kommen, die Dunkelheit, die ihn und Dihia verschluckte.
    Die Morgensonne des ersten Tages im Leben ohne sie, des 20.   Mai 1961.
    Der Imam hatte ihm Brot gebracht, aber er war zornig gewesen. Verschwinde endlich! Wenn dich die Franzosen hier finden, werden sie uns bestrafen!
    Verschwinde du, hatte der Junge erwidert, sonst töte ich dich .
    Der Imam hatte ihm die Hände auf die Wangen gelegt, ihn auf die Stirn geküsst und gesagt: Verzeih .
    Ein seltsamer Kerl war das gewesen, dachte Benmedi. Ein großer, pickliger Mann, hin- und hergerissen zwischen Angst und Mitgefühl.
    Er legte den Pinsel zur Seite, tunkte ein Tuch in die Terpentinlösung und tupfte die blauen Tropfen weg, die ihm auf die Kachel gefallen waren. Sorgfältig trocknete er die Stelle, überprüfte sie auf Farbreste und Feuchtigkeitsränder und zog eine beschädigte Linie nach. Der Foxterrier Lady hatte ein Anrecht auf ein makelloses Hüttenschild.
    Wie so oft in diesen Tagen saß Benmedi auf der Holzbank vor seinem Haus. Er hatte einen kleinen Tisch hinausgetragen, auf dem die Kachel und die Malutensilien Platz fanden. Hinter ihm im Efeu summte und surrte es, immer wieder musste er winzige Insekten und anderes, was der Wind brachte, von der Kachel entfernen. Doch so mühsam die Arbeit hier auch war, er wollte draußen warten. Djamel sollte sich willkommen fühlen, nicht wie ein Eindringling vor einem fremden Haus, dessen Tür geschlossen war und ihn zum Klingeln zwang.
    Benmedi griff nach dem Pinsel, wartete, dass das Zittern der Hand nachließ.
    Zwei weitere Tage hatte er am Grab Dihias verbracht. Morgens und abends war der Imam gekommen und hatte ihm Essen und Wasser gereicht.
    Am vierten Tag nach ihrem Tod war er ins Dorf hinuntergegangen, in das kleine Auto gestiegen, dessen Rücksitz von ihrem Blut verfärbt gewesen war, und nach Bologhine gefahren. Er hatte den wenige Monate alten Mouloud aus dem Bettchen genommen und in die Arme seines Bruders gelegt und gesagt: Ein Kind braucht einen Vater, der an Liebe denkt, nicht an Rache.
    Die Rache hatte ihn monatelang in Anspruch genommen. Er war in den Untergrund zurückgekehrt und hatte wahllos, blind und grausam getötet.
    Ein Jahr später wurden die Verträge von Évian unterzeichnet, Algerien war frei. Innerhalb weniger Monate, ja Wochen verließen die Franzosen das Land. Benmedi hielt sich an den Harkis schadlos.
    Und, geht es dir jetzt besser?, fragte sein Bruder. Ist

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