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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Dihia von den Toten auferstanden? Kannst du jetzt wieder an Liebe denken? Kannst du deinem Sohn wieder ein Vater sein?
    Sein Bruder hatte recht. Mit jedem Getöteten hatte er sich weiter von der Liebe und von seinem Sohn entfernt.
    Also versuchte er es ein paar Jahre lang mit einer bürgerlichen Existenz. Arbeitete hier und dort, wohnte in Algier, in Oran, in Constantine. Aber auch das half nicht. Dihia war noch immer nicht von den Toten auferstanden.
    Als er hörte, dass ein sozialistisches Bruderland in Europa Vertragsarbeiter suche und Hunderte Algerier dem Ruf folgten, beschloss er, die Heimat zu verlassen. In zwei, drei Jahren bin ich zurück, sagte er.
    Am Ende waren es zweiundzwanzig geworden.
    Gute Jahre, dachte Benmedi. Zwanzig in Spremberg, zwei in Pessin. Dann, 1992, hatte Pauline beschlossen, dass man die unruhige Zeit nach dem Mauerfall besser in der einstigen Heimat des algerischen Ehemannes verbringen sollte. Alles Sträuben hatte nicht geholfen. Mir ist hier nicht mehr wohl zumute, Youcef, hatte Pauline ein ums andere Mal gesagt.
    Benmedis Hand zitterte nicht mehr. Erneut säuberte er den Pinsel und brachte Farbe auf, um den Vogel zu vollenden, der in der linken oberen Ecke der Kachel saß. Er hatte ihn in einem Buch über Ornamentalmalerei entdeckt, das Pauline ihm geschenkt hatte. Ein Vogel, der aus Linien zu bestehen schien. Die Linien jedoch waren artifizielle arabische Buchstaben, die die Basmala ergaben – »Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen«. Er schmunzelte. Lady konnte die Gnade und den Schutz Allahs sicherlich gebrauchen.
    Auch Dihia hatte Allah in Form eines Vogels zu schützen versucht.
    Ein kleiner, stummer Vogel war über dem Gestrüpp eines Hügels Pirouetten geflogen, keine zehn Meter vom Auto entfernt, hinter dem sie mit einem Kameraden gelagert hatten. Dihia hatte sie auf den Vogel aufmerksam gemacht, sie waren ihm mit dem Blick gefolgt.
    Momente der Ruhe. Unbeschwertheit, während sie an der scheinbaren Unbeschwertheit des Vogels Teil gehabt hatten.
    Er hatte nicht gesungen, aber sie hatten nicht verstanden. Hatten den Gewehrlauf zwischen den Büschen zu spät entdeckt. Im nächsten Augenblick hatten Kugeln Dihia in Benmedis Arme geworfen.
    Sie hatte nicht mehr sprechen können. Hatte von den vielen Tausend Wörtern, die er aus ihrem Mund noch hatte hören wollen, kein einziges mehr gesagt. Ihre blutüberströmte Hand in seiner, beide in Krämpfen zuckend …
    Benmedi blickte auf den Pinsel zwischen seinen Fingern, die erneut zitterten, wie immer, wenn er an diesen Tag dachte, ein nie verhallendes Echo der Zuckungen, die Dihia in den Tod begleitet hatten.
    Seufzend stand er auf und trug die Kachel ins Wohnzimmer, wo er sie auf ein Bord legte. Geräusche von draußen ließen ihn innehalten. Eine Autotür fiel ins Schloss, ein Wagen entfernte sich.
    Er eilte zur Tür.
    Am Straßenrand vor seinem Haus stand der algerische Fremde.

IV
    ABSCHIED

43
    KABYLEI
    Sie hatten Tizi Ouzou auf Nebenstraßen verlassen, waren der N 12 in Richtung Osten gefolgt, bald nach Süden auf die N 15 abgebogen. Für ein paar Kilometer hatte die Straße an einem riesigen Stausee entlanggeführt, mittlerweile schlängelte sie sich zwischen grünen Hängen hindurch, vorbei an weitgezogenen Ortschaften, immer tiefer in die Kabylei hinein. In der Ferne sah Eley kantige graue Gipfel, manche schneebedeckt, Dörfer auf Kuppen, andere lagen halb verborgen in den Nischen und Wellen der Hügel. Das Tal und die Straße wurden schmaler, der Verkehr immer spärlicher, er ließ sich zurückfallen. In unregelmäßigen Abständen schaltete er das Licht ein, wechselte zwischen Standlicht und Abblendlicht, schaltete es wieder aus. Von einem der Pässe aus erkannte er den weißen Mond, ein lustloser, angeknabberter Fleck im Blau, der an ihm vorbeizuwandern schien. Da fiel ihm ein, dass auch er vielleicht ein wandernder Fleck war, ein Punkt auf einem Bildschirm jenes inneren Zirkels der DDSE , zu dem nicht einmal Abderrahmane Toumi Zutritt hatte. Er zog das Handy hervor, entfernte den Akku, verschwand vom Firmament.
    Der Abschied im Jardin d’essai.
    Ich gehe vor, hatte Toumi gesagt, müde und beherrscht Eleys Hand geschüttelt. Die Botschaft war klar gewesen: Ich verstehe euch, ich lasse euch Abschied nehmen. Ihr seht, ihr könnt mir vertrauen.
    Toumi, Freund oder Fallensteller.
    Egal, hatte Amel geflüstert. Das ist doch jetzt egal.
    Ihre Augen unsichtbar hinter den dunklen Kunststoffflächen, ihre Lippen,

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