Ein paar Tage Licht
viel Blau um die Augen, viel Rosa darunter, signalisierte Angriffslust. Sie war nicht groß, nicht einmal besonders auffällig, doch der Raum und die Anwesenden schienen sich wie selbstverständlich um sie herum angeordnet zu haben. »Willkommen bei den ›Freunden Algeriens‹, Frau Dr. Prinz«, sagte sie.
Verhaltener Applaus.
Prinz lächelte, neigte den Kopf, erwiderte Blicke. Man wusste um ihren kleinen Feldzug gegen Meininger Rau, in den Mienen spiegelte sich Abneigung wider, gelegentlich Ekel. Sie hatten sich die Aussätzige ins Haus geholt, die Nestbeschmutzerin, um sie in den Griff zu bekommen, embedded enemy, ertrugen ihre Anwesenheit jedoch nur unter inneren Qualen.
Im Raum entstand Geschäftigkeit, man ging zur Tagesordnung über. Elektrische Jalousien surrten herunter, verdrängten den gemütlichen Sonnenschein des Herbstnachmittags. Ein Beamer warf grelles Licht auf eine Leinwand.
Sie ließ den Blick über die Runde gleiten, die zusehends in der Dunkelheit verschwand. Ein paar der Anwesenden kannte sie persönlich oder vom Namen her. Roth-Albig, weitere Referatsmitarbeiter aus den Ministerien Wirtschaft, Verteidigung sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ernst Friedrich Riehle, einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU -Bundestagsfraktion, zuständig unter anderem für Wirtschaft und Mittelstand, häufiger Gast der Rüstungsschmieden seines Wahlkreises, Rottweil-Tuttlingen. Sie hatte das braungebrannte Gesicht an der rechten Seite des Tisches dauerhaft im Augenwinkel, hin und wieder begegnete sie seinem stählernen Blick. Für Riehle musste sie eine Staatsfeindin sein, die sich die wirtschaftliche Zerstörung einer friedlich vor sich hin werkelnden schwäbischen Region auf die Fahne geschrieben hatte.
Den übrigen Namensschildern auf dem Tisch hatte sie entnommen, dass Vertreter so gut wie aller deutschen Firmen, die sich in Algerien engagierten, zugegen waren – Energie, Rüstung, Immobilien, Infrastruktur, Fotovoltaik, Fahrzeugbau, Schiffsbau, andere. Auch der CEO von Meininger Rau gehörte dem Forum an, Dr. Gerhard Wintrich. Sie hatte bislang nur das zugehörige Metallschild und eine zur Faust geballte fleischige Hand davor gesehen, er selbst saß zurückgelehnt außerhalb ihres Blickfeldes.
Ein großer, attraktiver, braungebrannter Mann trat ans Rednerpult, klappte einen Laptop auf, die Stimme tief, gelassen, zuversichtlich. Ein paar Scherze unter Freunden, man kannte sich gut, der Schöne führte eine GmbH namens EXPERTS IN EXPORTS und war Stammgast im Forum.
Prinz starrte auf Tabellen und Charts und Schlagwörter. Eine SWOT -Analyse Algeriens. Sie hörte von imposantem Reichtum, Außenhandelsüberschüssen, Erdöl- und Erdgasvorräten für die nächsten fünfzig Jahre, von Milliarden, die für die unterschiedlichsten Projekte zur Verfügung stünden. Gutes bis hervorragendes Investitionsklima, stabile politische Lage, der Arabische Frühling keine Gefahr für Algerien. Ja, die Bürokratie noch immer ein Hemmnis, die Korruption, die Behäbigkeit, Arabien eben. Aber mit den richtigen Kontakten, einer geeigneten Kommunikationsstrategie, der Unterstützung durch deutsche Ministerien und die Deutsch-Algerische Industrie- und Handelskammer könne man der Probleme Herr werden.
»Klingt fast wie Berlin«, sagte eine Männerstimme.
»Wie Berlin?«, fragte der Schöne.
»Bürokratie, Korruption, Behäbigkeit.«
»Ja«, sagte der Schöne und lachte als Einziger.
Endlich die risks . Hohe Jugendarbeitslosigkeit. Häufige Demonstrationen. Streiks.
Seine Stimme war noch zuversichtlicher geworden. Alles halb so wild, säuselten die Obertöne. Alles eine Frage der Kommunikationsstrategie. Prinz schaltete das Tischmikro vor sich ein. Gleichzeitig ging ein Lämpchen an, und sie spürte, wie ein sanfter Lichtschimmer ihr Gesicht erfasste und aus der Dunkelheit holte. »Darf ich?«
»Was denn?«, fragte der Schöne.
»Präzisieren.«
»Grundsätzlich … ist das ja nur ein Überblick.«
»Eben.«
Roth-Albigs Gesicht leuchtete im Dunkeln auf, über die Lautsprecher erklang ihre Stimme, etwas Lauerndes darin, eine Schlange vor dem Angriff: »Lassen wir Frau Dr. Prinz ruhig.«
Ihr Gesicht verschwand.
Prinz ließ den Blick über Köpfe gleiten, die sie nicht sah, blendete das Getuschel aus, das sie niemandem zuordnen konnte, suchte Augen, die sie nicht fand.
Präzisierte.
Häufige Demonstrationen? Ja, im Jahr 2011 landesweit etwa elftausend, zum Teil mit Unruhen und
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