Ein perfekter Freund
antwortete er.
»Oder hier?« rief sie noch, als die Tür schon zuging.
Als Fabio gegen Abend in die Wohnung kam, lag Marlen im Bett und schlief. Er schloß leise die Tür zum Schlafzimmer, setzte sich an das Powerbook und schrieb.
Am 2. Mai soll Schnell die LABAG übernehmen. Er hat unter anderem im Sinn, die Entwicklungsabteilung in neue Hände zu geben.
Am 27. April nimmt sich der Lebensmittelkontrolleur Barth, der bisherige Verantwortliche für die Entwicklung, das Leben.
Knapp drei Wochen später interviewe ich Barths Witwe. Die Aufzeichnung des Gesprächs enthält keine Hinweise auf einen Zusammenhang des Selbstmords mit Barths beruflicher Situation.
Zwei Tage darauf kommt es zu einem zweiten Gespräch mit Barths Witwe. Auf meinen Wunsch, wie sie sagt. Die Aufzeichnung dieses Gesprächs ist gelöscht. Bis auf den Schluß, aus dem hervorgeht, daß Frau Barth mir etwas mitgegeben hat, mit dem Auftrag, es in seinem Sinn zu verwenden. Sie behauptet heute, es habe sich um biographische Daten gehandelt.
Fünf Tage nach dem zweiten Gespräch gehe ich freiwillig an die Lancierung eines Milchgetränks von LEMIEUX und schmeiße mich an die PR-Assistentin ran. Aus Interesse an der Lebensmittelbranche oder aus Interesse an der PR-Assistentin?
Eine Woche später vermittelt sie mir ein Gespräch mit dem obersten Lebensmittelingenieur von LEMIEUX.
In der Redaktion lasse ich durchblicken, ich sei an einer großen Sache.
Die nächsten vier Wochen benehme ich mich geheimnisvoll. Dann bekomme ich eins auf den Schädel und erwache im Spital. Meine Erinnerungen an die letzten fünfzig Tage sind gelöscht. Alle Hinweise auf die große Sache sind ebenfalls gelöscht.
Und heute erfahre ich, daß Dr. Barth an einem Nachweisverfahren für BSE- Erreger in Lebensmitteln forschte.
Fabio stand auf, fand eine Zigarette und steckte sie an. Die Hand mit dem Feuerzeug zitterte. Nicht vom Krafttraining.
Er stellte sich an die Balkonbrüstung. Auf dem Rasenstück unter ihm liefen die letzten Vorbereitungen für eine Grillparty. Zwei Männer in Bermudas und Schürzen machten sich an einem Gartengrill zu schaffen. An der Birke hingen Leuchtgirlanden. Zwei Frauen in Shorts und Bikinioberteilen deckten einen Gartentisch. Vier Kinder halfen dabei.
Hatte Barth etwas entdeckt, das mit LEMIEUX zu tun hatte, und seine Witwe hatte Fabio die Aufzeichnungen darüber hinterlassen?
Er ging zurück zum Schreibtisch, legte das mysteriöse Band in den Recorder und spielte die Stelle einige Male. »… einfach alles mit. Tun Sie damit, was Sie für richtig halten, aber tun Sie es in seinem Sinn. Ich kann mich doch darauf verlassen?«
»Nehmen Sie einfach alles mit«, sollte das wohl heißen. Das klang nach viel. Nicht nach ein paar biographischen Daten.
»Tun Sie damit, was Sie für richtig halten, aber tun Sie es in seinem Sinn. Ich kann mich doch darauf verlassen?«
Das klang nicht nach etwas, von dem sie, wie sie behauptete, Kopien besaß. Das klang nach Dokumenten. Nach etwas, das ihrem verstorbenen Mann wichtig war. Etwas, das man jemandem anvertraut. Und wenn dieser Jemand ein Journalist war, klang es auch nach etwas, das an die Öffentlichkeit sollte.
Er hatte versprochen, es zu tun. Aber jemand hatte das verhindert. Warum? Wer?
Beide Fragen hingen miteinander zusammen. Weil es dem Unternehmen schaden würde, hatte es LEMIEUX verhindert. Weil es den Kunden schaden würde, hatte es LABAG verhindert. Weil er die Sache selbst bringen wollte, hatte es ein Kollege verhindert.
Es mußte ein Eingeweihter gewesen sein. Und davon gab es nur einen.
Einer der Barbecue-Chefs auf dem Rasen kam mit einem Eimer Wasser und stellte ihn neben den Grill. Bestimmt eine Sicherheitsmaßnahme aus dem Handbuch für Gartenpartys.
Der andere goß eine Flüssigkeit aus einer schwarz-roten Flasche auf die Holzkohle, verschraubte sie sorgfältig und stellte sie in sicherer Entfernung auf den Boden. Er zündete ein Streichholz an und warf es in den Grill. Eine träge Flamme ergriff die Holzkohle. Der Mann in der Schürze schaute stolz um sich, als hätte er soeben das Feuer erfunden.
Fabio steckte sich eine neue Zigarette an. Die dritte Theorie gewann immer mehr an Wahrscheinlichkeit: Lucas hatte ihm die Geschichte geklaut. Das erklärte auch, daß Jacqueline Barth ihn anlog. Sie arbeitete jetzt exklusiv mit Lucas zusammen.
»Cazzo!«
»Was ist los?« fragte Marlens Stimme hinter ihm.
Fabio drehte sich um. Sie trug wieder ein übergroßes T-Shirt, diesmal mit
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