Ein perfekter Freund
Wohnungstür und kurz darauf ihre Absätze auf dem Plattenweg vor dem Haus. Dann die Wagentüren und den Motor des Taxis, das sich rasch entfernte.
»Ciao, Marlen«, murmelte Fabio.
12
Er lag auf der Drückerbank und hatte vierzig Kilo aufgelegt, acht Kilo mehr als beim letzten Mal.
Er fühlte sich gut. Die Dinge waren wieder in Bewegung. Seit gestern besaß er eine Gedächtnisinsel, Norina hatte immerhin mit ihm gesprochen, und die Geschichte mit Marlen ging ihrem natürlichen Ende zu. Sie war letzte Nacht gegen fünf Uhr nach Hause gekommen, hatte nach Rauch und Alkohol gerochen und versucht, ihn zu einer Versöhnungsnummer zu animieren. Er bildete sich etwas darauf ein, daß es ihr nicht gelungen war.
Als er aufstand, saß sie angezogen an der Frühstückstheke mit einem Glas Wasser und einer Tasse Kaffee. Sie hatte vergeblich versucht, drei Schlafnarben, die diagonal über ihr Gesicht liefen, zuzuschminken. Und als sie ihn anlächelte, sah es aus, als täte ihr das weh. Er hatte ihr im Vorbeigehen einen aufmunternden Klaps auf den Hintern gegeben. Als er aus dem Bad kam, war sie weg.
All das hatte ihn ermutigt, vierzig Kilo aufzulegen.
Er packte die Hantelstange, atmete tief durch, hielt die Luft an, stieß sie aus und stemmte dabei die Hantel aus der Halterung. Kein Problem.
Er ließ sie langsam sinken, stoppte sie, atmete ein, stieß die Luft aus und mit ihr die Hantel hoch. Einmal.
Er schaffte es ein zweites Mal, eine drittes Mal, ein viertes Mal. Beim fünften merkte er, daß vierzig Kilo zuviel waren. Er füllte die Lungen mit Luft, preßte sie aus und quälte die Hantel bis ein paar Zentimeter unter die Halterung. Er bäumte sich mit allem, was er hatte, gegen das Eisen, aber er schaffte es nicht. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Hantel auf den Brustkorb zu senken.
Da lag er nun, eingeklemmt zwischen einer schweißnassen Drückerbank und vierzig Kilo Eisenguß. Als er versuchen wollte, die Hantel seitwärts wegzukippen und sich aus seiner Falle zu winden, kam Jay. Der schüttelte mitleidig den Kopf, stellte sich rittlings über ihn und hob die Hantel in die Verankerung zurück.
»Die meisten Unfälle passieren, weil man sich überschätzt«, belehrte er ihn.
»Danke«, keuchte Fabio. Und als Jay außer Hörweite war:
»Auch für die Lebenshilfe, Arschloch.«
Die LABAG war ein zweistöckiges Gebäude aus den achtziger Jahren. Große Fensterfronten zwischen kunststoffverkleideten Fassaden. Es lag in der Industriezone von Neubach, einem Dorf außerhalb der Stadt, das durch einen großzügigen Zonenplan etwas Industrie und Gewerbe angelockt hatte.
Fabio hatte das Gebäude von der S-Bahn aus gesehen und war den knappen Kilometer am Ba hndamm entlang zurückgegangen. Jetzt stand er in der Eingangshalle und betrachtete die ausgebleichten Farbfotos. Sie zeigten Laborpersonal vor Reagenzgläsern und Apparaten.
Die Empfangsdame hatte ihn schon zweimal aufgefordert, Platz zu nehmen, der Herr Doktor Schnell werde gleich frei.
Die LABAG war ein privates Labor für chemische, chemischphysikalische und mikrobiologische Analyse. Dr. Barth war dort Ressortleiter gewesen.
Dr. Schnell war der Geschäftsführer. Fabio hatte ihn am Morgen angerufen und war darauf gefaßt gewesen, abgewimmelt zu werden, sobald er seinen Namen nannte. Aber Schnell schien ihn nicht zu kennen. Als Fabio sagte, er sei freier Mitarbeiter vom SONNTAG-MORGEN und recherchiere über Lebensmittelkontrolle, hatte er ihm gleich einen Termin für den Nachmittag gegeben. Er hatte jung und dynamisch geklungen.
So sah er auch aus, als er mit großen Schritten die Treppe herunter und auf Fabio zukam. Nicht viel älter als er und um einiges dynamischer.
»Das kommt alles weg, ich hätte Sie lieber nächste Woche empfangen, dann wird der ganze Empfangsbereich neu gestaltet, aber Sie schienen es eilig zu haben.« Dr. Schnell gab ihm eine harte, kräftige Hand.
»Wir gehen zuerst zu mir.«
Er führte Fabio in ein helles Büro im ersten Stock. Es roch nach Farbe. Der Boden war mit Parkett ausgelegt, das Möbelprogramm entsprach dem neuesten Stand. Chrom, Glas, Metall, Leder, Farbakzente.
Bevor er Fabio zu Wort kommen ließ, machte er eine kleine Tour d'horizon, wie er es nannte. Daraus ging hervor, daß die LABAG ein Vertrauenslabor für Behörden und Privatunternehmen war. Sie machten Untersuchungen, betrieben Forschung, entwickelten Qualitätsprogramme, machten Analysen, stellten Qualitätsstandards auf und überprüften deren
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