Ein perfekter Freund
einer Ente, der fünf Junge nachwatschelten.
»Nichts«, antwortete er. »Es ist mir nur etwas eingefallen. - Und du? Wie geht's?«
»Nicht schlechter als allen Frauen einmal im Monat.«
»Verstehe.«
»Im Kühlschrank hat's Aufschnitt, falls du Hunger hast.«
»Danke.«
»Morgen gehe ich zu meinen Eltern. Ich bleibe über Nacht. Ich nehme nicht an, daß du mitkommen willst.«
»Kenne ich sie?«
»Nein.«
»Dann besser nicht.«
Sie wußten beide nichts mehr zu sagen.
»Dann geh ich jetzt wieder, okay?«
»Okay.«
Marlen gab ihm einen Kuß auf die Wange. Er schaute ihr nach. Auf dem Rücken des T-Shirts stand ein sechstes Entchen, das den Anschluß verpaßt hatte. Ein großes Fragezeichen schwebte über seinem Kopf.
Fabio blieb bis spät auf dem Balkon und ließ sich vom Anblick der Grillparty deprimieren.
Am nächsten Morgen meldete das Radio höchste Waldbrandgefahr. Die Behörden riefen die Bevölkerung dringend dazu auf, im Wald kein Feuer zu entfachen.
Sobald Marlen aus dem Haus war, versuchte Fabio Dr. Vogel zu erreichen. Er rief zuerst in der Praxis an. Nicht, weil er annahm, daß Neuropsychologen auch samstags arbeiten, sondern weil er vermutete, daß Vogel zu Hause keine Klimaanlage besaß. So war es wohl auch. Vogel meldete sich nach kurzer Zeit mit einem privaten: »Jaaa?«
Fabio entschuldigte sich für die Störung an einem Wochenende und kam zu seiner Frage: »Ist es möglich, einen genau definierten Zeitraum aus dem Gedächtnis zu löschen?«
»Ja, das kommt vor. Zum Beispiel bei Leuten, die traumatische Erlebnisse hatten, Kriegserlebnisse, Schocks, Folter, Vergewaltigung, Unfälle. Oder bei Leuten, die als Kinder mißbraucht wurden.«
»Aber diese Leute löschen diese Erinnerungen selbst.«
»Darüber kann man geteilter Meinung sein.«
»Dann stelle ich die Frage anders: Kann eine Person einer anderen die Erinnerung an einen bestimmten Zeitraum löschen?«
»Ja. Zum Beispiel durch Suggestion. Hypnose. Es gibt auch Medikamente, die kurze retrograde Amnesien bewirken. Man verwendet sie in der Anästhesie. Oder Elektroschocks, die man immer noch zum Teil in der Psychiatrie verwendet. Weshalb interessiert Sie das an einem heißen Samstag, wo Leute Ihres Alters und Körperbaus sich im See treiben lassen sollten?«
»Aber fünfzig Tage? Ist es möglich, daß jemand sagt: Radieren wir dem die letzten fünfzig Tage des Gedächtnisses aus? Gibt es Methoden, Wirkstoffe, kaum sichtbare Eingriffe - was weiß ich -, die das können?«
Fabio hörte Dr. Vogel schnaufen, so gut es jemandem mit hundertsechzig Kilo Lebendgewicht während einer Hitzewelle möglich war.
»Nein, das gibt es bisher noch nicht, soviel ich weiß. Und das ist viel. Jedenfalls auf diesem Gebiet.«
Den Rest des Samstags verbrachte Fabio im Internet. Am Abend wußte er so viel über BSE und Creutzfeldt-Jakob, wie der Öffentlichkeit zugemutet wurde. Unter anderem, daß die Wissenschaft es inzwischen als erwiesen betrachtete, daß die Prionen, die den Rinderwahnsinn auslösten, bei Menschen die neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit hervorriefen.
Oder daß es zwar Laborverfahren gab, mit denen man Risikomaterial wie Hirn und Rückenmark in Lebensmitteln nachweisen konnte, aber noch keine, die bewiesen, daß dieses mit Prionen verseucht war. Weil es keine Tests gab, die empfindlich genug waren, kleinste Mengen Prionen nachzuweisen.
Oder auch daß eine Kristallisationstheorie existierte, nach welcher bereits geringste Mengen an Prionen genügen, um Creutzfeldt-Jakob auszulösen.
Die Krankheit begann mit Depressionen, Schlafstörungen, Wahnvorstellungen. Die Patienten wurden aggressiv, schreckhaft, unsicher beim Gehen. Sie litten unter Koordinationsstörungen, Taubheitsgefühlen, Kribbeln, später unter Gedächtnisverlust und Einschränkung des normalen Denkens. Je nachdem, welche Gehirnareale betroffen waren, wurden die Kranken von Lähmungen geplagt; vom Zittern der Arme, Beine oder des Kopfs; von Zuckungen in der Muskulatur; von epileptischen Anfällen und Muskelkrämpfen. In geistiger Umnachtung starben sie nach durchschnittlich zweiundzwanzig Monaten.
Fast alle Opfer dieser neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit waren jung, Teenager oder Twens. Die meisten von ihnen starben in England. Etwas über hundert bisher. Nicht genug, als daß es sich für die Pharmaindustrie lohnen würde, intensiv nach einem Heilmittel zu forschen.
Dabei gab es ernstzunehmende Forscher, die davon ausgingen, daß bis zu hundert
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