Ein perfekter Freund
wieder voll. »Das waren keine zehn Minuten. Wir haben ihn probiert, bevor er ganz wach war.«
Während sie warteten, bis der Grappa in ihren Gläsern erwachte, erfuhr Fabio, daß Anselmo tagsüber in einer Absatzbar arbeitete. »Ein Scheißjob, das kannst du mir glauben. Besonders bei dieser Hitze. Die Leute knallen dir die stinkenden Schweißschuhe auf den Tresen, und du kannst sie nicht einmal trocknen lassen, bevor du daran arbeiten mußt. Und am Feierabend geht es hier gleich weiter mit der Drecksarbeit. Dabei wäre die Hauswartsstelle eigentlich der Job meiner Frau.«
Fabio beging den Fehler zu fragen: »Und wo ist sie?«
»Weiß ich, wo meine Frau ist?« fragte Anselmo. »Jedenfalls nicht hier. Oder siehst du sie irgendwo? Ich sehe sie nic ht. Habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Vor einem Jahr das letzte Mal.« In der Erregung vergaß Anselmo die zehn Minuten Sperrfrist, kippte seinen Grappa runter und nötigte Fabio, seinen auch runterzukippen, um wieder identische olfaktorische Ausgangslagen herzustellen.
Während der nächsten Wartefrist erzählte Anselmo, daß ihn seine Frau vor einem Jahr wegen eines Arbeitskollegen hatte sitzenlassen. Wegen eines Arbeitskollegen!
Dieses Stichwort veranlaßte Fabio während der nächsten Wartefrist, seine Meinung über Typen kundzutun, die nicht einmal vor den Frauen von Arbeitskollegen haltmachten.
Die Schonfrist des folgenden Grappa nutzte Anselmo zu ein paar generellen Feststellungen über das weibliche Geschlecht. Danach bestand er darauf, zur Abrundung seinen im Birnenholzfaß gereiften Stravecchia zu verkosten. Er brachte neue Gläser und schenkte ein.
Während sie auf dessen Erweckung warteten, nahm Anselmo den Faden wieder auf. »Alle gleich«, murmelte er.
»Nicht ganz alle«, wandte Fabio ein, in der Absicht, Norina wenigstens punktuell aus dieser Generalabrechnung herauszuhalten.
»Ha!« rief Anselmo. »Glaubst du, deine wäre anders? Und wer hat Männerbesuche empfangen, kaum warst du im Krankenhaus?«
Der Grappa hatte Fabio etwas langsam gemacht. Er brauchte einen Moment. »Du meinst Marlen?«
»Scusa, das hätte ich jetzt nicht sagen sollen.«
»Erzähl.«
»Da gibt's nichts zu erzählen. Da kam einer. Das ist alles. Wahrscheinlich harmlos.«
»Mehrmals?«
»Bin nicht immer da. Mindestens einmal.«
»Wie sah er aus?«
»Jung, dein Alter, kurze Haare. Sah nicht schlecht aus.« Fabio stand auf und ging zur Wohnungstür. »Moment.«
Er stieg etwas unsicher die Treppe hinunter zu Marlens Briefkasten, fingerte den SONNTAG-MORGEN aus dem Schlitz und brachte ihn in Anselmos Wohnung.
»War es der?« fragte er und zeigte auf das Foto von Lucas.
Anselmo mußte aufstehen und seine Brille holen, die neben dem Fernsehprogramm lag. Er studierte das Foto und sagte schließlich: »Das ist er. Ganz bestimmt. Schlechtes Foto. Sieht in Wirklichkeit besser aus.«
Marlen kam um fünf. Fabio hatte auf dem Sofa auf sie gewartet und vorgehabt, sich beim ersten Geräusch im Treppenhaus zu erheben und sie stehend zu empfangen. Aber er erwachte davon, daß ihn jemand auf die Stirn küßte und fragte:
»Schnaps?«
»Hä?«
»Du hast eine Schnapsfahne.«
Damit war der psychologische Vorteil futsch.
Fabio brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, weshalb er stocksauer auf Marlen war. Als es ihm einfiel, stand er auf. Auf halber Höhe verlor er das Gleichgewicht und fiel aufs Sofa zurück.
Marlen lachte. »Du bist besoffen.«
»Dazu habe ich auch allen Grund.« Fabio rappelte sich hoch. Marlen wollte ihm helfen, aber er schüttelte sie ab.
»Ich dachte, du darfst keinen Alkohol trinken?«
»Was hatte Lucas hier zu suchen?«
Marlen antwortete nicht. Sie sah aus, als sei etwas Unausweichliches endlich eingetroffen.
»Was?« wiederholte Fabio mit drohendem Unterton. Marlen ging ins Bad.
»Ja, nimm dir nur Zeit für die Antwort.«
Fabio hatte einen fauligen Geschmack im Mund. Er öffnete den Kühlschrank. Kein Mineralwasser. Nur zwei Flaschen BIFIB und ein angebrochener Karton von Marlens dickflüssigem Pfirsichsaft.
Er drehte den Wasserhahn am Spülstein voll auf und wartete, bis der Strahl kühler wurde. Er füllte ein Glas und stürzte das Wasser hinunter. Es war noch immer lauwarm. Er steckte sich eine Zigarette an und wartete, bis Marlen mit ihrer Antwort aus dem Bad kam.
Sie kam ohne Antwort heraus.
Fabio baute sich vor ihr auf und sagte: »Was. Hatte. Lucas. Hier. Zu. Suchen.«
»Können wir darüber reden, wenn du nüchtern bist?«
»Wenn
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