Ein perfekter Freund
Verantwortung gezogen werden?«
Sie hatte jetzt auch fertiggegessen. »Für die wenigen, die vielleicht krank werden, kommt sowieso jede Hilfe zu spät. Und weshalb sollte man die restlichen Zehntausende um ihr Leben fürchten lassen? Die Verantwortlichen werden schon dafür sorgen, daß so etwas nie mehr vorkommt.«
Fabio schüttelte den Kopf. »Ich bin Journalist. So kann ich nicht denken.«
»Ich schon.«
»Deshalb wollen Sie mir nicht helfen?«
»Nein, nicht deshalb.«
Der Kellner räumte den Tisch ab.
»Weshalb dann?«
»Weil ich nichts von den Dokumenten weiß, die Sie suchen.« Sie lächelte. »Schenken Sie mir noch eine Zigarette?«
Fabio bot ihr eine an und nahm sich auch eine.
»Wollen wir sie auf der Terrasse rauchen?« fragte sie.
Das Meer war schwarz vom mondlosen Himmel. Die Lichter von Amalfi glitzerten in der Ferne. Die Windlichter auf den Terrassentischen warfen ihr gelbes Licht auf die Gesichter der Gäste. Behutsam spielte das Trio sein neapolitanisches Repertoire. Ein kleiner Wind war aufgekommen.
Fabio und Jacqueline Barth saßen an einem Tischchen bei der Brüstung, tranken Kaffee und rauchten.
»Schön«, sagte Fabio, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
Sie nickte nur.
Das Trio spielte »Un vecchio ritornello«. Beim Refrain summte Jacqueline Barth mit.
In der Musikpause stellte er endlich die Frage, die ihn seit einiger Zeit beschäftigte. »Darf ich Sie etwas Indiskretes fragen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Bei unserem Gespräch damals hatten Sie mir gesagt, Sie seien gezwungen, Ihr Haus aufzugeben und wieder als Floristin zu arbeiten. Jetzt wohnen Sie immer noch im Haus, haben sogar eine Hausangestellte und machen Ferien in einem Fünfsternehotel.«
Sie legte den Kopf in den Nacken und ließ eine Rauchsäule in den Himmel steigen. Ihre anfängliche Anspannung hatte sich gelöst, der Champagner hatte ihre Züge weich gemacht. Jetzt erst sah er, was für eine schöne Frau sie war.
»Es war mehr da, als ich gedacht hatte.«
»Viel mehr, scheint mir.« Sie antwortete nicht.
»Wie erklären Sie sich das?«
»Er sprach mit mir nicht über Geld.«
»Sie stellen einfach fest, daß da viel mehr Geld ist, als Sie annahmen, und fragen sich nicht, woher es kommt.«
»Genau.«
»Sind Sie nie auf die Idee gekommen, Ihr Mann könnte Geld genommen haben, damit er seine Entdeckung für sich behält?«
»Nein.«
»Daß er sich aus Scham darüber das Leben genommen haben könnte? Daß Sie all das hier mit dem Geld bezahlen, das ihn das Leben gekostet hat?«
»Wie alt sind Sie, Herr Rossi?« Sie klang nicht wütend.
»Dreiunddreißig.«
»Ich werde dieses Jahr fünfzig. Wenn eine Frau in diesem Alter vor der Wahl steht, als wiedereingestiegene Floristin in kalten Kellern für einen Hungerlohn Blumen zu binden oder in lauen Sommernächten mit gutaussehenden jungen Männern wie Ihnen von der schönsten Terrasse der Welt aufs Meer zu schauen, glauben Sie, sie überlegt es sich zweimal? Mein Mann hat mir dieses Leben nach seinem Tod ermöglicht. Falls er dafür seine Seele verkauft hat, bin ich die letzte, die sich darüber moralisch zu entrüsten hat.«
Die Zigarette zwischen ihren Fingern zitterte nicht. »Falls es so ist, wie Sie glauben - ich sage, falls! -, falls es so ist, verbeuge ich mich vor ihm und bewahre ihm bis ans Ende meiner Tage einen Ehrenplatz in meinem Herzen.«
Sie winkte dem Kellner und bestellte die Rechnung. Er brachte sie und reichte ihr einen Kugelschreiber.
»Nein, das geht nicht auf mein Zimmer, mein Begleiter übernimmt das.«
Fabio klaubte seine Kreditkarte aus dem Geldbeutel und legte sie auf das Tellerchen.
»Ich nehme doch an, Sie wollen nicht von diesem Geld zweifelhafter Herkunft profitieren.«
»Ist mir tatsächlich lieber«, antwortete Fabio.
Der Kellner brachte die Kreditkartenquittung zurück. Zweihundertsechzigtausend Lire mußte Fabio die Reinheit seines journalistischen Gewissens schon wert sein.
Jacqueline Barth stand auf. »Entschuldigen Sie mich, ich bin hier immer früh müde.«
Sie gaben sich die Hand.
Sie lächelte. »Unter anderen Umständen hätte ich Sie vielleicht noch zu einem Drink auf meine Terrasse eingeladen.«
»Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht angenommen.« An der Decke seines kleinen Zimmers im Hotel La Bussola fuhren die Lichter der Autos und Motorräder vorüber. Fabio lag nur mit dem Leintuch zugedeckt auf dem Rücken. Ein Lied, das das Trio gespielt hatte, wollte ihm nicht mehr aus dem
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