Ein perfekter Freund
Stunden gereist.«
Sie trank einen Schluck. Ihre Hand zitterte ein wenig. »Sehen Sie, Sie machen mich nervös.«
»Dazu gibt es keinen Grund. Wir haben dieselben Interessen.«
»Das bezweifle ich. Sie wollen über meinen Mann reden, und ich will ihn vergessen.«
»Ich will nicht über Ihren Mann reden. Ich will über das reden, was er Ihnen hinterließ. Und was Sie mir übergaben.«
»Seine Biographie. Sie wollen nicht über meinen Mann reden, sondern über sein Leben.«
»Ich weiß jetzt, was Sie mir damals wirklich anvertraut haben, Frau Doktor Barth.«
Sie ließ ihren Blick schweifen und überlegte. Dann trank sie ihr Glas in einem Zug leer und stellte es auf die Marmorplatte der halbrunden Bar. »Wollen wir beim Essen reden?«
Sie führte ihn an einen runden Tisch mit einem grandiosen Blick auf das jetzt dunkle Meer und die Lichter der Küste. Er bot bequem Platz für vier Personen, war aber nur für eine gedeckt. Sobald sie sich gesetzt hatten, brachte ein Kellner ein zweites Gedeck.
»Dafür liebe ich dieses Hotel«, sagte Frau Barth. »In jedem anderen Haus dieser Kategorie gibt man einer alleinstehenden Frau ein Witwentischchen. Irgendwo hinter einer Säule oder bei der Küchentür oder ausgestellt in der Saalmitte. Ist Ihnen das nie aufgefallen?«
»Ich habe wenig Erfahrung mit Häusern dieser Kategorie«, gestand Fabio.
»Als alleinstehendem Mann würde Ihnen das auch nicht passieren. Da hätten Sie einen anständigen Tisch. Nur die Frauen werden plaziert, als hätten die guten Ho tels sich verschworen, der Welt zu zeigen, wie einsam und überflüssig alleinstehende Frauen sind. Mir haben sie immer leid getan. Und jetzt bin ich selbst eine von ihnen.«
Der Ober brachte die Karte und ein Glas Champagner.
»Nehmen Sie auch so etwas?« fragte sie.
»Nein, danke.«
»Ist das bei Journalisten genauso wie bei Polizisten? Kein Alkohol im Dienst?«
»Nein, nein. Ich sollte nicht.« Fabio zeigte auf seinen Kopf.
»Erinnern Sie sich noch immer an nichts?«
»Langsam kommt es zurück.«
»So«, erwiderte sie. Die Antwort gefiel ihr nicht. »Die Ravioli al limone sind eine Spezialität hier. Und jede Art von gegrilltem Fisch.«
Fabio bestellte ihre Empfehlung, ohne einen Blick in die Karte zu werfen. »Zweimal«, sagte sie zum Ober. Und zu Fabio:
»Schenken Sie mir eine Zigarette?«
Fabio bot ihr eine an und gab ihr Feuer. Sie nahm einen tiefen Zug. »Ich bin dabei, aufzuhören.«
Fabio steckte sich auch eine an. »Ich dabei, anzufangen.« Jacqueline Barth nahm einen Schluck aus ihrem Glas.
»Bringen wir's hinter uns.«
Fabio zo g seinen kleinen Recorder aus der Brusttasche.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn das mitläuft?«
»Ja.«
Die Antwort überraschte ihn. Die Frage war als reine Formsache gemeint. »Das heißt, Sie möchten nicht, daß ich das Gespräch aufnehme?«
»Ich gebe Ihnen kein Interview. Das ist ein privates Gespräch.«
Fabio steckte das Gerät wieder ein und legte seinen Stenoblock auf den Tisch.
»Es gibt auch nichts mitzuschreiben.«
Fabio deutete auf seinen Kopf. »Mein Gedächtnis.«
»Gute Übung.«
Ein Kellner brachte zwei Mineralwasser und eine angefangene Flasche Rotwein.
»Verstehen Sie etwas von Wein?« fragte Frau Barth.
»Leider nein.«
»Ich auch nicht. Dieser ist hier aus der Gegend, Campania. Ich arbeite schon seit drei Tagen an ihm. Das hier schmeckt mir besser.« Sie zeigte auf ihre Flute.
»Wissen Sie, woran Ihr Mann in den Monaten vor seinem Tod arbeitete?«
»Wir haben nie über seine Arbeit gesprochen. Ich habe nichts davon verstanden, und er hatte keine Geduld, es mir zu erklären.«
»An einer Methode, Prionen in Lebensmitteln nachzuweisen. Prionen sind die Eiweiße, die BSE und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verursachen.«
»Was Prionen sind, weiß sogar ich.«
»Wissen Sie auch, daß er tatsächlich eine Methode gefunden und Prionen in verschiedenen Schokoladensorten von LEMIEUX nachgewiesen hatte?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das geht aus den Unterlagen hervor, die Sie mir damals anvertraut hatten.«
Auf der Terrasse begann ein Trio neapolitanische Melodien zu spielen. In einer angenehmen Lautstärke, die ein Gespräch erlaubte.
»Sie haben mir die Unterlagen gegeben, ohne ihren Inhalt zu kennen?«
»Ich kenne den Inhalt der Unterlagen, die ich Ihnen gab. Es muß sich um andere handeln.«
»Frau Doktor Barth…«
Sie unterbrach ihn. »Lassen Sie den Doktor weg, er gehörte meinem Mann.«
»Frau Barth, ich kenne den Inhalt
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