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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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in der Schublade da liegen mehr als fünfzig Preise, die er als Student gewonnen hat, und sein Ingenieurdiplom und die Auszeichnung als Jahrgangsbester seines Studienfachs. Das hat er ganz alleine geschafft. Ist das kein Grund für eine Mutter, stolz auf ihren Sohn zu sein? Zu wissen, dass er ein besseres Schicksal hat als seine Mutter und sein Vater, der ist sein Leben lang Klempner geblieben. Von wem der Junge seine Intelligenz hat, weiß ich nicht. Jedenfalls ist er vorangekommen und lebt nicht in so einem Wohnblock, er hat seinen eigenen Wagen, reist in Länder, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt. Er ist jemand in diesem Land … Mein Gott, was ist bloß passiert? Wer kann Rafael etwas antun wollen, wo er doch nie jemandem was getan hat, nie! Er war immer ein guter Revolutionär, als kleiner Junge schon, ich erinnere mich noch, dass man ihm in der Schule immer irgendwelche Posten übertragen hat. Er war oft Vorsitzender, auch in der Oberstufe und auf der Universität. Niemand im Ministerium hat ihm geholfen, er hatte nämlich nie Vitamin B. Er alleine hats geschafft, nur durch seine Arbeit, Schritt für Schritt, bis er da war, wo er jetzt steht. Und nun so was! Nein, nein, Gott kann mich nicht so grausam bestrafen, wir haben so was nicht verdient, mein Sohn und ich. Was ist passiert, Genossen, sagen Sie mir das bitte! Erklären Sie mir das! Wer kann meinem Sohn schaden wollen? Wer kann ihm etwas angetan haben? Oh mein Gott … «
     
    Ich glaube, es waren noch zwei oder drei Wochen bis zum Ende des Schuljahres, danach kamen die Prüfungen. Und dann würden wir in der 12 sein, was so viel bedeutete wie in der 13, was so viel hieß wie auf der Universität. Niemand mehr würde uns dann auf die Eier gehen mit seinem »Keine Koteletten, auch keine Schnäuzer, Haare kurz geschnitten« und all dem Zeug, sodass man am liebsten nicht mehr in der Oberstufe wäre, auch wenn man sehr gerne in die Oberstufe geht und mit den Leuten aus der Oberstufe zusammen ist und eine Freundin aus der Oberstufe hat und so. Das Schlimmste bei dem Ganzen ist: Man möchte, dass die Zeit schnell vorbeigeht. Und wozu das alles? Wir standen in Reih und Glied auf dem Schulhof, es war Juni, die Sonne brannte uns aufs Fell, und der Direktor hielt eine Ansprache. Wir würden sämtliche Preise gewinnen, würden die beste Oberstufe von ganz Havanna sein, die beste des Landes, ja, der ganzen Welt! Denn wir seien die Besten bei der freiwilligen Feldarbeit gewesen, hätten die Interspiele und zwei Preise beim Nationalen Amateurfestival gewonnen, mindestens neunzig Prozent von uns würden versetzt, und niemand könne uns den ersten Platz streitig machen. Wir klatschten Beifall, schrien »uh-uh« und dachten, wir sind der Wahnsinn, keiner ist besser als wir. Und der Direktor sagte, es gebe noch eine gute Nachricht: Zwei Genossen aus der Oberstufe La Víbora hätten Medaillen bei dem Staatlichen Wettbewerb in Mathematik bekommen – uh-uh, lauter Beifall –, der Genosse Fausto Fleites – uh-uh! – eine Goldmedaille in der Kategorie II. Klasse und – uh-uh! – der Genosse Rafael Morín eine Silbermedaille in der Kategorie 13. Klasse. Fausto und Rafael stiegen auf das Rednerpodest, championissimo, winkten uns mit erhobenen Armen zu, lächelnd natürlich, sie hatten bewiesen, dass sie superintelligent waren, und Tamara applaudierte wie wild, sie applaudierte immer noch, als fast niemand mehr applaudierte, und hüpfte vor Freude, und der Dünne sagte zu mir, Junge, spielt die nur Theater, oder wusste sie wirklich nichts? Doch, sie musste es schon vorher gewusst haben, aber sie war so glücklich, als hätte sie es gerade erst erfahren, so wie sie hüpfte, dass ihr Hinterteil in Fahrt kam, was man sogar unter diesem langen, weiten Liebestöter-Rock sehen konnte. Rafael ging zum Mikrofon, und ich sagte zu dem Dünnen, mach dich auf was gefasst, Tiger, bei der Hitze und wo der sich so gerne reden hört, aber nein, ich lag falsch, ich liege fast immer falsch. Er sagte, Fausto und er würden die Preise den Mathematiklehrern und der Schuldirektion widmen, aber auf jeden Fall wolle er alle Schüler dazu aufrufen, sich bei den Abschlussprüfungen anzustrengen, um die Vorherrschaft der Schule zu festigen und so weiter. Und während er so sprach, sah ich ihn an und dachte, alles in allem ist der Typ ’ne Wucht, hochintelligent und hübsch, redegewandt und außerdem befreundet mit so einer wie Tamara, immer geschniegelt und gebügelt, und ich dachte,

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