Ein perfektes Leben
Körperschaften versetzt. Einmal hat Rafael, ich meine, der Genosse Morín zu mir gesagt, weißt du, García, hat er gesagt, die drei wollten nur eins: ins Ausland reisen. Für solche Kungeleien hat er nämlich nichts übrig. Doch, doch, mit den anderen Genossen hat er sich immer prima verstanden, und was Ihnen Zaida erzählt hat, das stimmt, er kümmert sich um alles und jeden. Mir zum Beispiel, und ich bin ja nur ein einfacher Vorarbeiter, mir hat er mal eine Reise in die Tschechoslowakei bewilligt, für besondere Verdienste, das heißt, nicht er direkt, aber er war es, der mich vorgeschlagen und sich auf der Versammlung für mich eingesetzt hat. Und mit seinem Einfluss, ich bitte Sie … Freunde? Na ja, nein, persönliche Freunde sind wir nicht, jedenfalls was ich unter einem persönlichen Freund verstehe, nicht wahr? Er war ein paar Mal bei mir zu Hause, als meine Mutter krank war, und danach hat er das ganze Unternehmen mobilisiert wegen der Totenwache und der Beerdigung. Und wenn ich auch manchmal denke, dass er etwas merkwürdig ist, so was vergisst unsereins nicht, man muss dankbar sein, nicht wahr, denn Undankbarkeit ist das Hässlichste, was es auf dieser Welt gibt. Deswegen müssen Sie entschuldigen, aber bevor ich es nicht schwarz auf weiß sehe, glaub ichs nicht. Was ich merkwürdig an ihm fand? Na ja, das sind so Sachen, ich weiß nicht, vielleicht bilde ich mir das ja auch nur ein, so Eigenheiten. Zum Beispiel haben wir immer Gemüse für ihn besorgt, und sein Büro wird zweimal am Tag sauber gemacht, oder dass sein Fahrer diese schwarzen Scheiben für den Wagen besorgen musste, solche, wo man nicht weiß, ob einer drinsitzt, wissen Sie? So was, Eigenheiten eben. Ansonsten, da können Sie alle fragen, auch die, die ihn kritisiert haben, wir machen uns alle große Sorgen um ihn, und keiner hat eine Erklärung dafür … Stimmt das, dass man ihn umgebracht und ausgeraubt hat, Genossen?
»Hast du jetzt endlich die Schnauze voll von den Lobeshymnen auf Rafael? Oder meinst du, wir sind auf dem falschen Dampfer und er ist wirklich der große Unternehmensleiter und hat keine Probleme, weder mit den Spesen noch mit den Repräsentationszulagen oder mit sonst was? Findest du nicht auch, dass er der liebe Gott ist, untadelig, liebenswürdig, Gottvater, der die Welt erschafft und Sympathien und Gefallen und Reisen verteilt, als wär er der große Zampano? Oder hältst du ihn für ein durchtriebenes Arschloch, der alles genau plant und scharf darauf ist, Macht zu haben?«
»Conde, Conde, du kriegst gleich einen Herzinfarkt … «
»Keine Sorge, Kollege. Wutanfälle gehören langsam zu meinem psychischen Normalzustand.«
»Also, soll ich dich bei deiner Freundin absetzen?«
El Conde nickte. Er fragte sich, was er Tamara gleich sagen sollte und ob es überhaupt nötig war, sie wieder zu besuchen. Die Aussicht, ihr noch einmal entgegenzutreten, machte ihn nervös und brachte ihn durcheinander. Er wollte der Welt von Rafael Morín entfliehen, doch Tamara war wie ein Magnet, der ihn immer wieder zum Zentrum eben dieser Welt hinzog, ihn dazu trieb, dorthin zurückzukehren wie der Mörder an den Ort seines Verbrechens.
»Hör mal, Manolo«, sagte er, »es ist noch ziemlich früh. Sollen wir nicht ein Gläschen trinken? Ich lad dich ein, ich muss Druck ablassen.«
»Spielst du mit dem Feuer, Kollege?«
»Mit dem Zufall. In der Lotterie hab ich schon mal einen Haupttreffer gelandet«, entgegnete Mario Conde. Endlich lächelte er.
»Du hast Recht, wir haben unseren Magen schon lange nicht mehr gequält.«
»Bieg in die Lacret ein und parke an der Ecke Mayía.« Sargento Palacios gehorchte und stellte den Wagen zwischen einem Lastwagen und einem Taxi ab. In solch eine Lücke hätte Mario Conde nicht mal mit dem Fahrrad einparken können. Manolo schloss den Wagen ab und nahm die Antenne mit in die Mayía Rodríguez, wo es eine selten saubere und helle Thekenkneipe gab, die zu dieser Mittagsstunde fast leer war. Auf der Kühltruhe standen aufgereiht mehrere Flaschen Santa Cruz und Havana Club mit echtem falschem Etikett und daneben ein Selbstgebrauter, den kein Profitrinker zu bestellen gewagt hätte, nicht mal in äußersten Notsituationen.
»Zwei doppelte Carta blanca, Bruder«, bestellte El Conde beim Wirt und zog einen Hocker neben den, auf dem sein Kollege bereits saß. In der Kneipe hielten sich nur wenige Gäste auf, Stammgäste, die die Sonntagmittagsträgheit zu bekämpfen versuchten, indem sie Rum aus
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