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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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Marmeladengläsern tranken, bei denen man den Kopf ganz weit nach hinten legen muss, um austrinken zu können. Der Wirt spielte auf seinem Kassettenrecorder eine Bolero-Auswahl für Trinker am helllichten Tag. Vicentico Valdés, Vallejo, Tejedor y Luis und Contreras erzählten lange Geschichten von enttäuschter Liebe und Tragödien, die sich besser mit Rum als mit Ginger-Ale oder Coca-Cola runterspülen lassen. Mario Conde betrachtete gerne die mühseligen und beladenen Gäste der elenden Kneipen und versuchte sich vorzustellen, warum sie hier saßen, welches Schicksal sie dazu gebracht hatte, Zeit und Geld zu verschwenden und sich jahrelang dieselben Schnulzen anzuhören, die ihre Einsamkeit, ihren Lebensüberdruss, das lange Vergessen und die erlittenen Enttäuschungen nur noch verstärkten, während sie (»Noch einen, brother« ) diesen harten, aggressiv machenden Alkohol in sich hineinschütteten und ihre Hände mit jedem Glas stärker zitterten. El Conde kratzte die letzten Kenntnisse aus dem abgebrochenen Psychologiestudium zusammen und analysierte sich selbst gleich mit, ohne Panik, fragte sich, was er, Mario Conde, hier machte. Doch dann drückte er sich wieder einmal vor den eigentlichen Antworten. Weil ich einfach nur gerne hier sitze, um mich ein wenig vergessen und verdammt zu fühlen, musste er sich sagen, und um noch ein Glas zu bestellen, brother, zu hören, was die anderen reden, mit mir selbst zu sprechen und zu spüren, wie die Zeit verstreicht, ohne mich zu quälen. Manchmal setzte er sich an die Theke, um über einen Fall nachzugrübeln oder ihn zu vergessen, um etwas zu feiern oder sich zu erinnern oder einfach nur, weil er sich hier wohler fühlte als in einer Bar mit bunten Cocktails in hohen Gläsern, jenen eleganten Bars, die er schon seit tausend Jahren nicht mehr betreten hatte.
    »Was würdest du jetzt gerne tun, Manolo?«, fragte er seinen Kollegen, der sich über diese Frage gleich beim ersten Glas kaum wunderte.
    »Ich weiß nicht, ein paar Gläschen hier trinken und dann zu Vilma gehen und bis morgen meine Ruhe haben, das wärs«, antwortete Manolo achselzuckend.
    »Ich meine, wenn du nicht zu Vilma gehen würdest?«
    Manolo betrachtete mit Kennermiene sein Glas, und die Pupille des linken Auges wanderte schnurstracks zum Nasenrücken.
    »Ich glaube, ich würde gerne Musik hören. Ich liebe Musik. Ich hätte gerne eine gute Hi-Fi-Anlage mit Equalizern und dem ganzen Schnickschnack und zwei Riesenlautsprechern! Dann würde ich mich auf den Fußboden legen, auf jeder Seite einen Lautsprecher, für jedes Ohr einen, und würde stundenlang Musik hören. Kannst du dir vorstellen, Kollege, dass mein Alter keine hundertvierzig Pesos übrig hatte, um mir eine Gitarre zu kaufen? Mit so einer polnischen Gitarre wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt gewesen. Aber wenn du der Sohn eines Busfahrers bist, der mit seinem Gehalt sechs Leute durchfüttern muss, dann muss das Glück erheblich billiger zu haben sein als für hundertvierzig Pesos.«
    Ja, dachte Mario Conde, das Glück kann verdammt teuer sein, und er bestellte noch einen Doppelten. Er sah auf die sonnenbeschienene, kalte Straße hinaus, auf der nur wenige Autos fuhren, und fühlte sich vollkommen entspannt und ruhig. Es war ein guter Mittag, um etwas zu trinken und anschließend mit einer Frau zu schlafen, wie es Manolo vorhatte. Oder um mit dem Dünnen in einen Bus zu steigen und vier Stunden im Stadion zu leiden. Ein guter Mittag, um sich lebendig und glücklich zu fühlen, mit oder ohne Gitarre. Und während er den Rum durch seine dankbare Kehle rinnen ließ – die milde Wärme von hellem Rum, die er so gut kannte! –, sagte er zu sich, dass auch er häufig glücklich gewesen war und es bestimmt irgendwann einmal wieder sein würde. Die Einsamkeit, dachte er, ist keine unheilbare Krankheit. Eines Tages vielleicht würde er seine alten Illusionen wieder haben, würde in einem Haus in Cojímar wohnen, wie Hemingway, direkt an der Küste, in einem Holzhaus mit roten Dachziegeln und einem Zimmer zum Schreiben. Dann würde er sich nicht mehr mit Mördern und Dieben, mit Tätern und Opfern herumschlagen müssen, und Rafael Morín würde wieder aus seinem Gedächtnis verschwinden, in dem nur die guten Erinnerungen überleben würden, so wie es sein muss. Erinnerungen, die die Zeit hinüberrettet und beschützt, damit die Vergangenheit keine ungeheure, entsetzliche Last ist und man nicht zur Brücke gehen muss, um seine Liebe in

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