Ein perfektes Leben
den Fluss zu werfen, wie es in dem Lied von Vicentico Valdés heißt, das gerade zu hören war.
»Hör dir das an«, sagte er zu Manolo und lächelte, »genau so was möchte man nach ein paar Gläsern hören: Zur Brücke will ich gehen / deine Liebe zu werfen in den Fluss / zu sehen, wie sie ins Leere stürzt / und fortgerissen wird vom Strom. Fast schon wieder schön, was?«
»Wenn du meinst«, sagte der Sargento und betrachtete wieder sein Glas.
»Sag mal, Manolo, was ist, schielst du nun oder nicht?«
Lächelnd, ohne den Blick vom Glas zu heben, das linke Auge auf Abwegen, antwortete Manolo: »An manchen Tagen ja, an manchen nein.« Er trank aus und zeigte seinem Kollegen das leere Glas. »Und was würdest du jetzt gerne tun, jetzt gleich?«
Mario trank ebenfalls sein Glas leer, überlegte eine Weile und antwortete dann: »Dich bitten, mir deinen Kassettenrecorder zu leihen, mich auf den Boden legen wie du und zehnmal hintereinander Strawberry Fields forever hören.«
Unsere Baseball-Kluft hat mir nie gefallen. Damit sieht man aus wie ’n Papagei, schimpfte Alexis El Yankee, und er hatte Recht. Die Strümpfe, die Kappe, die Buchstaben auf Brust und Rücken und die veilchenblauen Ärmel an dem kükenblassgelben Trikot, dazu die zu weite Hose, die man nicht enger machen durfte, denn Antonio La Mosca, »die Fliege«, unser Sportlehrer und Manager, hatte uns eingeschärft, dass wir nach der Meisterschaft alles wieder zurückgeben müssten, und zwar in demselben Zustand (oder in einem besseren), wie wirs bekommen hatten. So ein Blödsinn! Als ob irgendjemand scharf auf die Klamotten gewesen wär, die uns den blöden Spitznamen »Die Veilchen von La Víbora« eingebracht hatten. Die Meisterschaft wurde zwischen sechs Oberstufenmannschaften ausgetragen, und wie immer waren wir die Dummen. Nach dem ›Water-School-Skandal‹ wurden wir in allem kurz gehalten, angefangen bei den freiwilligen Arbeitseinsätzen auf dem Feld bis hin zu unserer Baseball-Kluft, die immer die blödeste von allen war. Denn als sie einmal mit dem Kontrollieren anfingen, kontrollierten sie und deckten auf, was das Zeug hielt. Zuerst deckten sie auf, dass wir beim Schülerwettbewerb gemogelt und bei der Zuckerrohrernte gewonnen hatten, weil wir in der Jury einen Kontaktmann sitzen hatten, der das Pensum von anderen Schulen teilweise unserem Konto gutschrieb. Und danach deckten sie noch wer weiß was alles auf.
Andrés, unser Stammspieler an der first base, wollte vom Baseball nichts mehr wissen, nachdem er sich den Fuß verstaucht hatte und nicht in der Jugendnationalmannschaft spielen konnte. Also stellte man mich an die first base, obwohl ich als achter batter eingeteilt war, vor Arsenio El Moro, dem neunten und letzten batter, der nun wirklich der allerletzte war, verdammt zu einem als Papagei verkleideten outfielder.
Als wir zum Aufwärmen rausgingen, war es schon dunkel und das Flutlicht wurde eingeschaltet. Nach uns liefen die Spieler von La Habana auf, schwarze Riesen mit solchen Händen, die Hackfleisch aus uns machen würden, so wie sie es schon mit anderen Mannschaften getan hatten. Doch wir (»uns kann keiner« ) schworen uns vor der Partie ein. Wir machen die verdammten Schlappschwänze platt, schrien wir, Scheiße noch mal, jawohl, schrie der Dünne, und sogar El Moro und ich glaubten es. Das Schlimme war nur unsere Kluft, und das in dem frisch renovierten Stadion mit dem erstklassigen Flutlicht, auf der einen Tribünenseite die Leute von La Habana, auf der anderen die von uns, ein Höllenspektakel, und unsereins in dieser Verkleidung! Wie zu der Zeit, als Baseball noch mit Melone und Gamaschen gespielt wurde.
In der Mannschaft standen der Dünne, Isidrito El Guajiro, »der Bauer« – er war an diesem Tag unser pitcher –, der Pello und ich. Ich wurde »Cachito« genannt, denn wenn ich den Ball schlug, flog er immer nur ein kleines Stückchen weit, eben ein cachito. Fast alle aus unserer Klasse sahen sich die Spiele an, sogar Tamara, die für die Schülerwettbewerbe verantwortlich war. Bei diesen Wettbewerben zählte nämlich auch die Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen, »Aktivitäten« genannt, und die Baseballmeisterschaft war so eine Aktivität. Die Schüler gingen natürlich lieber zu einem Baseballspiel, als zum Beispiel an einem Museumsbesuch teilzunehmen oder die »Aktivität« des Schulchores über sich ergehen zu lassen. Unsere Leute hatten sich einen Schlachtruf ausgedacht, den sie immer skandierten, wenn
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