Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
Vom Netzwerk:
gesellschaftlichen Aufstieg des Mannes beobachtet, der zurzeit untergetaucht war. Seine Karriere glich dem Sprung jener genialen, durchtrainierten Akrobaten, die sich unerschrocken ins Leere stürzen; denn vorher haben sie ein Sicherheitsnetz gespannt, das ihnen sagt, los, spring, du kannst es wagen, ich fang dich auf. Eine gute Partie hatte einen Teil des Problems gelöst: Tamara und ihr Vater und die Freunde ihres Vaters hatten bestimmt ein wenig mitgeholfen, den Weg zu ebnen. Doch Mario musste der Wahrheit die Ehre geben und anerkennen, dass Rafael alles Übrige aus eigener Kraft geschafft hatte, zweifellos. Als Rafael Morín vor zwanzig Jahren ins Mikrofon der Oberstufe gesprochen hatte, hatte sich in seinem Kopf bereits der Gedanke festgesetzt, ganz nach oben zu kommen und alle Etappen dorthin zu durchlaufen. Und er hatte sich darauf vorbereitet. Die Pläne der anderen waren damals noch rudimentär und abstrakt gewesen, nur die von Rafael hatten bereits Konturen gehabt. Deshalb hatte er sich an den schnellsten Wagen gehängt und sich angeschickt, sämtliche Diplome zu bekommen, sämtliche Auszeichnungen und Belobigungen einzuheimsen, perfekt zu sein, untadelig, herausragend. Und opferbereit. Und ganz nebenbei hatte er die Freundschaften geschlossen, die ihm möglicherweise irgendwann einmal von Nutzen sein würden, ohne dass ihm jemals die Puste ausging oder sein Lächeln verschwand. Dann, bei der Arbeit, stellte er seine Fähigkeiten und seine Bereitschaft zu jedem Opfer unter Beweis, um später die eine oder andere Stufe auf der Himmelsleiter überspringen zu können. Er gewann Sympathien und Vertrauen und erwarb sich den Ruf, zu jedem Gefallen bereit zu sein, dabei aber auch in nötigem Maße flexibel, was ihn als einen fähigen, fügsamen, brauchbaren jungen Mann auszeichnete, alles auf einmal, einen, der jede Anordnung akzeptiert und ausführt, während er bereits der nächsten entgegensieht. El Conde wusste von solchen »Biografien mit Rückenwind«. Er konnte sich das unvermeidliche, selbstsichere Lächeln vorstellen, mit dem Rafael dem Minister Fernández-Lorea berichtete, wie perfekt die letzten von Ihnen aufgestellten Pläne erfüllt werden, Genosse Minister. Rafael Morín hatte sicherlich niemals einem Vorgesetzten widersprochen, es handelte sich stets um einen Meinungsaustausch; niemals hatte er sich geweigert, einer unsinnigen Anordnung nachzukommen, er pflegte lediglich konstruktive Kritik über die entsprechenden Kanäle zu üben. Er war niemals gesprungen, ohne das Netz zu überprüfen, das ihn im Falle eines unvorhergesehenen Sturzes in die Tiefe mütterlich-liebevoll hätte auffangen können. Wo also war ihm ein Fehler unterlaufen?
    »Und woher nimmt er das Geld für die Geschenke, die er macht?«, fragte der Teniente, als er die einzige Notiz in seinem Büchlein noch einmal gelesen hatte. Er war über die Promptheit erstaunt, mit der René Maciques antwortete: »Von dem, was er bei den Spesen spart, nehme ich an.«
    »Und das reicht für die Hi-Fi-Anlage, die er zu Hause stehen hat, für das Chanel N° 5, das er seiner Mutter mitbringt, für die kleineren und größeren Aufmerksamkeiten, die er seinen Mitarbeitern zukommen lässt, und sogar dafür, unter dem Namen René Maciques ein Zimmer im ›Riviera‹ zu nehmen und im ›L’Aiglon‹ zu speisen, beides mit einem dreiundzwanzigjährigen Mädchen? Sind Sie sicher, Maciques? Wussten Sie, dass er bei seinen Abenteuern Ihren Namen benutzt, oder hat er Ihnen das nicht erzählt, so im Vertrauen, hm?«
    René Maciques stand auf und ging zur Klimaanlage, die in die Wand eingelassen war. Er drückte auf eine der Tasten, dann zupfte er den Vorhang zurecht, der sich verheddert hatte. Vielleicht war ihm kalt geworden. Am selben Abend noch, als der Teniente über das letzte Schicksal von Rafael Morín nachgrübelte, sollte er sich an diese Szene erinnern, so als hätte er sie vor zehn, fünfzehn Jahren erlebt und eigentlich lieber gar nicht erleben wollen. Maciques setzte sich wieder in seinen Sessel und sah die beiden Polizisten an. Jetzt war er nicht mehr der Conférencier, sondern der schüchterne Bibliothekar, den sich Mario Conde vorgestellt hatte.
    »Ich weigere mich ganz einfach, das zu glauben, Genossen«, sagte er.
    »Das ist Ihr Problem, Maciques. Aber glauben Sie mir, ich habe keine Veranlassung, Sie anzulügen. Und die Geschenke?«
    »Von dem, was er bei den Spesen spart, das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
    »Spart er denn so

Weitere Kostenlose Bücher