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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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ganzen Abend auf einen Anruf von dir gewartet.«
    »Ja, ich bin erst spät hier rausgekommen.«
    »Ich hab dich heute Morgen schon mal angerufen, so um halb zehn.«
    »Ach, davon hat mir keiner was gesagt.«
    »Hab dir auch nichts ausrichten lassen. Warum bist du gestern angerufen worden?«
    »Reine Routine. Diese Zoila ist eine Freundin von René Maciques. Rafael kennt sie nicht mal persönlich. Wir haben das überprüft.«
    »Also immer noch nichts von Rafael?« Mario wüsste gerne, wie diese Frage gemeint ist. Fast wäre es ihm lieber, wenn Tamara sich wegen ihres Mannes tatsächlich große Sorgen machen würde. Denn theoretisch, so denkt er, ist sie nach wie vor die Hauptverdächtige. »Diese Ungewissheit macht mich fertig«, fügt sie hinzu.
    »Mich auch. So langsam reichts mir.«
    »Was?«
    Er denkt eine Weile nach, bevor er antwortet. Er will nichts Falsches sagen. »Rafaels Privatbulle zu sein.«
    »Warst du schon in der Firma?«
    »Daher komme ich gerade. Die Spezialisten von der Wirtschaftskriminalität sind noch da.«
    »Wirtschaftskriminalität? Glaubst du wirklich, Mario, dass Rafael in so was verwickelt ist?«
    »Was meinst du denn, Tamara? Meinst du etwa, er konnte dir all die schönen Sachen von seinem Gehalt kaufen?«
    Am anderen Ende der Leitung herrscht tiefes, langes Schweigen. Schließlich sagt sie: »Ich weiß es nicht, Mario, ich weiß es wirklich nicht. Aber ich kann mir Rafael auch nicht als Wirtschaftskriminellen vorstellen. Er … « Sie gerät ins Stocken. »Er ist kein schlechter Mensch.«
    »So wird erzählt«, murmelt er. Er fährt sich mit der Hand über die Stirn, um sich den unerwarteten Schweiß abzuwischen.
    »Was hast du gesagt?«
    »Dass ich das auch glaube.«
    Erneutes Schweigen.
    »Mario«, sagt sie dann, »was gestern passiert ist, ist nicht so wichtig, das … «
    »Für mich schon, Tamara.«
    »Ach, du verstehst mich nicht«, beschwert sie sich. Er macht alles noch schwerer. »Was meinst du, warum ich anrufe? Ich möchte dich wieder sehen, Mario, wirklich.«
    »Das hat doch keinen Sinn, Tamara. Wir sehen uns wieder, und was dann?«
    »Dann weiß ich nicht. Musst du dir wirklich alles tausendmal vorher überlegen?«
    »Ja, muss ich, wirklich.« Er spürt die Kopfschmerzen zurückkehren.
    »Du kommst also nicht?«
    Mario Conde schließt die Augen und sieht sie nackt, voller Begierde und Erwartung auf dem Bett liegen.
    »Doch, ich glaub schon. Sobald ich weiß, was mit Rafael geschehen ist«, sagt er und legt auf. Er spürt, wie die Schmerzen hinter den Augen entstehen. Ein Ölfleck, der sich hinter seiner Stirn ausbreitet. Doch mit den Schmerzen kommen die Gedanken. Sobald ich weiß, was mit Rafael geschehen ist. Du Blödmann, schimpft der Teniente mit sich selbst, warum bist du nicht zuerst dahin gegangen?
     
    »Na, kommst du zu mir, weil du nicht mehr weiter weißt?«, fragte ihn Capitán Contreras. Das joviale Lachen des dicken Mannes hallte durch den Raum. Mit einer für Dickhäuter ungewöhnlichen Flinkheit erhob er sich von seinem Stuhl, der erleichtert aufseufzte, ging auf den Teniente zu und drückte ihm die Hand. »El Conde, mein Freund! So ist das Leben, Bruder, heute mit meiner Hilfe und morgen dank meiner Hilfe! Auch wenn es Leute geben soll, die das, was wir hier machen, zum Kotzen finden. Klar, niemand spielt gerne mit Scheiße, aber irgendeiner muss sich ja die Hände schmutzig machen, und am Ende kommen sie doch alle zu mir. Ich red nicht von dir, du bist ja mein Freund, auch wenn du nicht mit mir zusammenarbeiten wolltest. Aber unsereiner hört eben so allerlei.« Wieder lachte er und ließ Bauch, Brust, Doppelkinn und Hinterbacken fröhlich tanzen. Er war leicht zum Lachen zu bringen, sehr leicht. Mario Conde fand, dass es vielleicht viel zu leicht war, den dicken Contreras zum Lachen zu bringen. »Los, zeig schon her«, forderte ihn der Capitán auf.
    Der Teniente reichte ihm das Foto. Jesus Contreras betrachtete es eine Weile, und Mario versuchte sich vorzustellen, wie das bewährte Archiv in seinem Hirn funktionierte. Was dem dicken Contreras einmal vor die Augen kam, blieb für alle Zeiten in allen Einzelheiten in seinem Gedächtnis gespeichert. Das war sein größter Stolz. Und sein zweitgrößter war es zu wissen, dass er nützlich, ja, beinahe unentbehrlich war. Der Dicke befasste sich nämlich direkt mit Devisenvergehen, und niemand hätte behaupten können, dass er zu wenig Arbeit hatte. Sein Team, »die Dicken von Contreras«, hatte es sich zum

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