Ein perfektes Leben
Orangen, eine Zwiebel, Pfeffer und Olivenöl. In diesem Sud würde später das Gemüse schwimmen, das Josefina für ihren Sohn zubereiten wollte. Um die reduzierten Freuden seines Lebens kümmerte sie sich mit noch größerem Eifer als um den Garten. Seit der Dünne als Invalide aus Angola zurückgekommen war, lebte diese Frau, die ihr herzliches Lachen bis heute nicht verloren hatte, mit heiterer, nonnenähnlicher Schicksalsergebenheit nur noch für ihren Sohn, und das nun schon seit neun Jahren. Vielleicht war die Kocherei das wichtigste Ritual, durch das sich der Schmerz ihrer Liebe ausdrückte. Der Dünne hatte die Ratschläge des Arztes, der ihn vor den Gefahren seiner Fettleibigkeit warnte, von Anfang an in den Wind geschlagen. Er hatte sich damit abgefunden, dass sein Tod nur noch eine Frage der Zeit war, und bis dahin wollte er das Leben in vollen Zügen genießen, so wie er es immer gemacht hatte. Wenn wir saufen, saufen wir, und wenn wir essen, essen wir, pflegte er zu sagen. Und Josefina tat alles, was sie konnte (und noch mehr), um ihn zufrieden zu stellen.
»Stell noch einen Teller dazu«, sagte Mario zu Josefina, als er die Küche betrat. Er küsste sie auf die schweißbedeckte Stirn und neigte seine eigene für den Gegenkuss. Doch die Frau kam nicht dazu. Den Teniente überkam plötzlich ein Gefühl von sentimentaler Liebe, das ihn dazu zwang, die Alte so heftig zu umarmen, als wollte er sie erdrücken. »Ich hab dich so lieb, Jose«, sagte er zu ihr. Dann ließ er sie wieder los und ging zur Anrichte, wo die Thermoskanne mit Kaffee stand. Nur mit Mühe konnte er die Tränen zurückhalten, die er in sich aufsteigen spürte.
»Was machst du denn schon hier, Condesito? Hast du schon Schluss?«
»Schön wärs, Jose«, antwortete er und trank einen Schluck Kaffee, »ich bin nur gekommen, um deine Yuca in Knoblauchsoße zu essen.«
»Hör mal, mein Junge«, sagte die Frau, und sie unterbrach für einen Moment die Essensvorbereitungen, »in was für ein Schlamassel bist du da eigentlich wieder reingeraten?«
»Das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen, Jose. Hab mich mal wieder ganz schön in die Scheiße geritten.«
»Gehts um diese Frau, die mit euch in der Schule war?«
»Moment mal, was hat dir der Quatschkopf von deinem Sohn erzählt?«
»Tu nicht so unschuldig, euer Geschrei war gestern Abend bis auf die Straße zu hören.«
Mario Conde hob lächelnd die Schultern. Was mochte er gestern wohl alles von sich gegeben haben?
»Aber sag mal, Jose, was siehst du denn heute so elegant aus?« Er musterte die alte Frau von oben bis unten.
»Elegant, ich? Ach was, du müsstest mich mal sehen, wenn ich mich wirklich fein mache … Ich war nur gerade beim Arzt und hatte keine Zeit, mich umzuziehen.«
»Was fehlt dir denn, Jose?« Er beugte sich vor, um ihr Gesicht, das sich wieder den Töpfen zugewandt hatte, besser sehen zu können.
»Ich weiß nicht, mein Junge. Eine alte Geschichte, aber in letzter Zeit wird der Schmerz unerträglich. So wie Sodbrennen, hier, unterm Magen, manchmal ist es so schlimm, als würde sich ein Messer in meine Eingeweide bohren.«
»Und was hat der Arzt gesagt?«
»Was soll er schon sagen? Hat mich zur Untersuchung ins Krankenhaus geschickt, ich soll Röntgenaufnahmen machen lassen, und dann soll ich auch noch diesen Schlauch schlucken.«
»Mehr hat er nicht gesagt?«
»Reicht das nicht, Condesito?«
»Ich weiß nicht. Wenn du mir was gesagt hättest … Ich hätte mit Andrés gesprochen, der war mit uns in der Oberstufe. Ein erstklassiger Arzt.«
»Mach dir keine Sorgen, meiner ist auch gut.«
»Natürlich mach ich mir Sorgen, Jose! Du beklagst dich ja nie … Hör zu, gleich morgen red ich mit Andrés wegen der Untersuchungen, und der Dünne ruft … «
Josefina sah von ihren Töpfen auf und schaute den Freund ihres Sohnes an. »Carlos soll niemanden anrufen. Sag ihm nichts, ja?«
Mario brauchte jetzt eine zweite Tasse Kaffee und eine zweite Zigarette, um die alte Frau nicht in die Arme zu schließen und ihr zu sagen, ich habe große Angst um dich.
»In Ordnung, Jose, ich erledige das schon … Riecht wirklich gut, die Soße, was?«
Und er ging hinaus.
Reisen in die Erinnerung endeten bei Mario Conde stets in Melancholie. Als er die Dreißig überschritten hatte und sich seine Beziehung zu Haydée in dem hemmungslosen Gestöhne ihrer sexuellen Gefechte erschöpfte, entdeckte er, dass er gerne in Erinnerungen schwelgte und sich gleichzeitig der
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